Früher war alles anders. Früher war Bier, Fussball, Party und Rock ’n’ Roll. Jetzt ist Kochen, Wickeln und Kinderlied. Aber das Leben fängt erst richtig an.
Sie sind ein Mann und blättern im «wir eltern». Krass. Ein Heft, das Sie früher nie gelesen hätten, stimmts? Ich nehme an, Sie haben sie auch hinter sich. Oder werden es bald. Die guten alten Zeiten. Ja, geben wir es ruhig zu. Früher, da haben wir die Sau rausgelassen. Wir haben getrunken, bis wir nicht mehr wussten, wie wir zum Vornamen heissen. Haben mit Maria Huana geflirtet, bis sie uns flachgelegt hat. Wir waren Rocker, Popper, Punker, Hanger, Heavies. Wir schlugen uns die Nächte um die Ohren. In Bars, in Pubs, in Clubs. Wir feierten, tanzten, spielten Ballergames, guckten Pornos, Fussball und tranken Bier dazu. Gute alte Zeiten. Wir haben uns nichts bieten lassen. Freiheit! Unabhängigkeit! Sorglosigkeit! Bestimmt könnten Sie auch abendfüllend Anekdoten zum Besten geben. Aber lassen wir das. Unsere Mütter und Frauen lesen mit. Obwohl, viele von ihnen waren wohl keinen Strich besser.
Und doch, wer hätte das gedacht, aus uns sind Väter geworden. Männer mit Frau und Kind. Mit Dondolo und Tragetuch. In den ersten Wochen der Schwangerschaft sah ich in einem Shop ein T-Shirt. Der Aufdruck meldete «Game Over» und zeigte ein Ehepaaar in Hochzeitskleidern. Der Mann mit Mundwinkeln nach unten. Die Frau mit Mundwinkeln nach oben und Baby im Arm. Lustig. Gekauft. Aber angezogen habe ich es nie. Nicht, weil es eine Nummer zu klein war. Nein, weil es nicht stimmt. Mit einem Kind ist das Spiel nicht vorbei. Im Gegenteil. Es geht erst richtig los. Level 2.
Die Nächte waren genauso lang wie zuvor. Und mindestens so berauschend. Diese kleinen, suchenden Augen. Und wenn es dann in unseren Armen einschläft. Wir sind hin und weg und ganz für das Kleine da. Davon haben sie immer gesprochen, unsere Frauen, unsere Eltern: Verantwortung übernehmen, erwachsen werden. Das tun wir jetzt. Wir fügen uns dem Schicksal. Wahrscheinlich hat es die Natur so vorgesehen.
Und dann kommt Level 3. Kaum ist die Familie gegründet, kommt die Karriere in Fahrt. Statt Iron-Maiden-T-Shirt tragen wir Krawatte. Wir gucken in den Spiegel und sind plötzlich rasiert. Die alten Zöpfe abgeschnitten. Statt Bierpass und Teleclub besitzen wir Kundenkarten von PKZ und Herren Globus. Schon wieder heisst es Verantwortung übernehmen. Wir werden befördert. Endlich den Bereich, die Abteilung oder die ganze Firma führen. Es winkt der Lohn, der für drei oder vier reicht. Und die Zeit, die fast nur noch der Firma gehört.
Über 90 Prozent von uns Vätern wünschen sich gemäss Umfrage von «wir eltern», möglichst viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Weniger als 5 Prozent von uns arbeiten weniger als 100 Prozent. Hat es die Natur so vorgesehen? Es ist noch nicht so lange her, da haben wir uns nichts diktieren lassen. Wir waren Rocker, Popper, Punker, Hanger, Havies. Und jetzt? Fügen wir uns dem Schicksal? Hat es die Natur tatsächlich so vorgesehen?
Vielleicht sollten wir wieder ein Stück der guten alten Zeit zurückholen. Da haben wir Freiheit, Unabhängigkeit und Sorglosigkeit gelebt. Wir haben sie uns genommen. Das können wir wieder. Dieses Mal nicht mehr nur für uns, sondern für unsere Familien. Gehen wir es an. Perfekt rasiert im Iron-Maiden-T-Shirt. Rock 'n' Roll!
Rinaldo Dieziger
Rinaldo Dieziger (37) ist Autor und Gründer der Agentur www.supertext.ch und lebt mit seiner Familie in Zürich.