Elterngespräche
«Ich will ja nicht nerven»
Vielen Eltern fällt es schwer, auf Lehrpersonen zuzugehen. Wir haben bei ihnen nachgefragt, was sie sich von Müttern und Vätern in Sachen Kommunikation wünschen.
Ich würde diese Streitigkeiten unter den Kindern so gerne mal ansprechen, aber ich habe Angst, direkt in der Helikopterschublade zu landen», erzählt eine Mutter. «Kann ich bei Hausaufgaben die Lehrperson um Rat fragen, oder nervt das eher?», fragt sich ein Vater. Oder: «Darf ich Ideen an die Lehrperson weitergeben oder ist das übergriffig?» Fragen an die Schule haben fast alle Mütter und Väter. Während eine kleine Gruppe von Eltern den Kontakt nicht scheut und eher zu viel als zu wenig anruft, schreibt oder gar im Schulhaus auftaucht, haben die meisten Eltern Hemmungen, sich überhaupt zu melden, fürchten, sich bei der Kontaktaufnahme mit Lehrpersonen falsch zu verhalten. Woher kommt das?
Tatsächlich ändert sich mit Eintritt in den Schulkosmos vieles – und zwar nicht nur für den Nachwuchs, sondern auch für die Eltern. Erhielten Mutter und Vater zu Kitazeiten noch täglich Bescheid über Stuhlgang, Essvorlieben oder Lieblingsspielzeug ihrer Kleinen, sind sie auf einmal auf die Auskunft von Sohn oder Tochter angewiesen. Die allerdings oft nicht wirklich redselig sind («Wie war es heute?» – «Gut» «Was habt ihr gemacht?» – «Nichts»). An diesen spärlichen Informationsfluss müssen sich Mütter und Väter erstmal gewöhnen. Dabei ist es essenziell, dass Eltern und Lehrpersonen gut zusammenarbeiten. Nicht umsonst sprach der dänische Familientherapeut Jesper Juul stets von einem lernenden Dreieck, bestehend aus Kind, Eltern und Lehrperson. Stützt dieses Dreieck das Kind in jeder Konstellation gut, funktioniert das Lernen am besten.
Offene Kommunikation
«Ich sehe Eltern und Lehrpersonen als Team», sagt auch Primarlehrerin Isabelle Buser. Die 34-Jährige unterrichtet eine 5. und eine 6. Klasse in Bern. Ihre Erfahrungen aus dem Schulzimmer teilt sie auf Instagram. «Ihr habt daheim eines bis vier Kinder», gibt sie Müttern und Vätern auf dem ersten Elternabend jeweils mit, «ich aber habe 23 in der Klasse – und kann gar nicht alles sehen. Deshalb bin ich darauf angewiesen, dass wir gut zusammenarbeiten.»
Rein technisch gesehen hat sich die ElternLehrpersonen-Kommunikation in den letzten Jahren enorm verbessert: Dank elektronischer Medien und schuleigener Tools können Lehrer:innen heute auf einen Click alle Eltern erreichen. Zudem schreiben sie in der Primarstufe häufig detaillierte Wochenjournale und lassen Mütter und Väter daran teilhaben, was in der Klasse gerade läuft. Auch regelmässige Rückmeldungen über das einzelne Kind verfassen viele Lehrpersonen. So wie beispielsweise Sabrina Urwyler. Die 32-Jährige ist seit 11 Jahren Primarlehrerin und unterrichtet in Bern eine dritte Klasse. «Bei uns können Eltern die Rückmeldungen schriftlich kommentieren», erzählt sie. Doch das werde leider kaum genutzt – was sie schade findet. Ein «Vielen Dank!» an die Lehrperson oder ein an das Kind gerichtetes «Bin stolz auf dich!», würde sie ab und zu schön finden, sagt die Lehrerin im Videocall. «Das wäre ein kleines, aber schönes Zeichen, dass meine wöchentlichen Rückmeldungen gelesen und wertgeschätzt werden.»
Sabrina Urwyler, Primarlehrerin
Feedback gewünscht
«Oh», sagt die Mutter eines Zweitklässlers, in dessen Klasse es ebenfalls solch ein Rückmeldesystem gibt, schuldbewusst, als sie das hört. «Das war mir nicht klar. Ich dachte immer, so lange alles läuft, falle ich der Lehrperson lieber nicht mit irgendwelchen Kommentaren oder so zur Last.» Tatsächlich zeigt eine kleine nicht repräsentative Umfrage unter weiteren Eltern, dass viele so denken. Ja nicht auffallen, scheint die Devise zu sein. Doch warum eigentlich?
«Eltern schleppen vielleicht die Prägungen aus ihrer eigenen Schulzeit mit und merken nicht, dass sich Schule verändert hat», vermutet Sabrina Urwyler. «Als die heutige Elterngeneration zur Schule ging, meldeten sich Mutter und Vater nur bei den Lehrepersonen, wenn es wirklich ein Problem gab. Heute hingegen nimmt die Unterstützung der Eltern eine zentrale Rolle beim Lernen ein. Doch bis dies alle realisiert haben, braucht es wohl Zeit.»
Auf der anderen Seite der Skala wiederum sind jene Eltern zu finden, die sofort zum Telefon greifen oder postwendend ein E-Mail verfassen. «Das gibt es heute häufiger», stellt Christian Hugi fest. Der 45-Jährige ist Mitglied der Geschäftsleitung des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH und seit 20 Jahren Primarlehrer. «Ein Anruf mit der Botschaft: Ein Kind hat zu meiner Tochter dumme Kuh gesagt, finde ich zum Beispiel nicht zielführend. Besser ist, wenn das Kind solche Sachen gegenüber der Lehrperson selbst anspricht», so Hugi, der in Zürich eine dritte Klasse unterrichtet. «Anders hingegen ist es, wenn Eltern mir mitteilen, dass ihr Kind seit einigen Tagen auf dem Schulweg geplagt wird.»
Vetrauen ist wichtig
Dazwischen als Eltern die Trennlinie zu finden, ist allerdings oft gar nicht so leicht. Schuld daran ist wohl auch dieses immense Verantwortungsgefühl, das Mütter und Väter heute gegenüber ihrem Nachwuchs verspüren. Der Druck, der auf ihnen lastet, alles besonders gut machen zu müssen. Was leicht dazu führt, dass man Tochter oder Sohn jedes vermeintliche Hindernis aus dem Weg räumen will, für sie alles glattbügeln möchte. «Dabei wäre es gerade hier wichtig, loszulassen und zu vertrauen», sagt Hugi. Und meint, dass die Person mit Expertise für schulisches Lernen, mit dem das eigene Kind viele Stunden die Woche verbringt, es schon richtig machen werde. «Doch Vertrauen kann ich als Lehrer nicht einfordern», gibt der Primarlehrer zu bedenken, «dies müssen die Eltern uns von sich aus schenken.»
Auch die Kluft zwischen Familie und Schule macht das Zusammenfinden zwischen Eltern und Lehrpersonen schwieriger. Gab es früher einen klaren Erziehungskonsens sowie hierarchische Strukturen, leben wir heute in einer ausdifferenzierten, schnelllebigen und individuellen Gesellschaft, in der die Schule manchmal hinterherhinkt. So haben sich Familien meist von klassischen Strafen verabschiedet. In Schulzimmern hingegen werden teilweise Belohnungssysteme – sei es mit Wolken, Sonnen oder Smilies – eingesetzt. Es seien jedoch vor allem die Erwachsenen, die mit den unterschiedlichen Welten manchmal Schwierigkeiten hätten, ist Christian Hugi überzeugt. «Kinder sind hier viel flexibler: Sie können sich gut darauf einlassen, dass in der Schule andere Regeln gelten als zu Hause, im Hort oder bei den Grosseltern.»
Die Kleinen tun sich dafür in anderen Bereichen schwer: In Zeiten, in denen Kinder oft sehr stark im Zentrum des Familienlebens stehen und sich vieles nach ihren Wünschen richtet, erlebt der Nachwuchs in Kindergarten und Schule oft zum ersten Mal, wie es ist, sich in einer Gruppe einzufügen. «Das ist für manche gar nicht so einfach», sagt Hugi. «Hier bietet Schule heute ein weiteres wichtiges Lernfeld.» Was allerdings auch zu Konflikten führen kann.
Sabrina Urwyler, Primarlehrerin
Probleme ohne Eltern lösen
Tatsächlich geht es meist um soziale Themen, wenn sich Mütter und Väter bei Lehrpersonen melden. Hier findet es der Primarlehrer wichtig, als Eltern dem Kind zu vertrauen, dass es die meisten Dinge alleine lösen kann. «Mit zunehmendem Alter, spätestens aber ab der 3. Klasse, sollte man als Eltern loslassen und Streitfälle in der Klasse ans Kind zurückgeben», rät Hugi. Gleichzeitig gelte es, im Gespräch zu bleiben, dem Nachwuchs etwa zu sagen: «Gut, dass du mir das erzählst! Aber sprich das doch morgen mit der Lehrerin an.» Am nächsten Tag nach der Schule dann nachhaken: «Hast du es angesprochen? Wie ging es weiter?» «Eltern dürfen darauf vertrauen, dass Lehrpersonen sehr bemüht sind, Konfliktfälle aufzulösen und nach bestem Wissen und Gewissen handeln», sagt Hugi. «Auch wenn sich das zu Hause in den Erzählungen des Kindes vielleicht manchmal anders anhört.»
Ab wann nehme ich als Mutter oder Vater dann aber doch Kontakt mit der Lehrperson auf? Das sei immer ein Abwägen. Erzähle das Kind, dass heute niemand mit ihm gespielt habe, sei das noch kein Grund, bei der Schule anzurufen. «Beschäftigt mich als Mutter oder Vater ein Thema jedoch stark, kann ich natürlich trotzdem nachfragen,» betont der Primarlehrer. «Ich finde es wichtig, dass sich Eltern auch bei scheinbar kleinen Sachen melden», sagt hingegen Lehrerin Isabelle Buser. «Spätestens aber wenn sie sich unsicher fühlen oder Sorgen haben.» Grundsätzlich gelte bei ihr: Lieber einmal mehr melden als gar nicht. Es hilft allerdings immer, eine Nacht darüber zu schlafen, bevor man zum Telefon greift.