
Herbert Zimmermann
Trennung
Hochstrittig getrennt, heute als Eltern versöhnt
Trennen sich Eltern, entstehen oft unheilvolle Konflikte. Aus dem früheren Liebespaar werden erbitterte Gegner. Wie die Abwärtsspirale gestoppt werden kann, zeigt die Geschichte der Eltern von Mia-Lou.
Nina Szyika weiss noch, dass sie Robs Bier bezahlte. «Ich wollte mich nicht einladen lassen», sagt sie und lacht. Sie lernt Rob den Otter beim Après-Ski in Engelberg kennen, da sind sie anfangs 20. «Ich wollte immer einen Mann, der gut Skifahren kann», sagt Nina Szyika, heute 38. «Dass ich ihn in Engelberg kennenlernte, wertete ich als Indiz dafür.» Er gibt ihr seine Visitenkarte und sie ruft ihn Tage später an. Sie verbringen glückliche Monate miteinander, ziehen nach zwei Jahren Beziehung zuerst nach Baar, später nach Luzern.
«Liebe und Leidenschaft», so beschreibt Rob den Otter (39) die erste Zeit mit seiner späteren Frau. In ihren Träumen sehen sie sich als Familie, in einer Jugendstilwohnung mit Stuckaturen und Flügeltüren am Ufer des Vierwaldstättersees, mit Blick auf den Pilatus und Luzerns Altstadt. «Wir hatten beide ein sehr naiv verklärtes Idealbild einer Heile-Welt-Familie», sagt den Otter. «Ich wollte immer jung Mami werden und wünschte mir zwei bis drei Kinder», sagt seine Ex-Partnerin.
Die beiden Trennungseltern sitzen heute zum gemeinsamen Interview in der Luzerner Wohnung von Szyika. Der See und die Berge sind von hier zu sehen, ganz so, wie sie sich das einst ausgemalt hatten. Rob den Otter ist aber nur dann hier, wenn er die gemeinsame Tochter Mia-Lou (11) abholt. An diesem Nachmittag rollen sie ihre Geschichte von hinten auf, erzählen von Familienglück, Zerrüttung, Tiefpunkten und nachfolgender Annäherung. Die Stimmung ist entspannt, sie hören einander zu, lassen einander ausreden, machen einander die Sätze fertig. Manchmal können sie sogar miteinander lachen.
Glückszeit Schwangerschaft
Es gibt viele schöne Momente. Rob den Otter erinnert an Spaziergänge von Bäckerei zu Bäckerei, weil seine Frau in der Schwangerschaft einen solchen Heisshunger hat. 2010 wird Wunschkind Mia-Lou geboren. Samstags sind sie in der Badi zum Babyschwimmen und an Sonntagen unterwegs in den Bergen. Die Familienferien verbringen sie in der Toskana inmitten von Olivenbäumen.
Heute sagt Nina Szyika: «Wahrscheinlich wollten wir uns ablenken und das Unvermeidliche hinauszögern – die Einsicht, dass die Liebe und Leidenschaft zwischen uns weg war.» Schon wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter wird für Rob den Otter klar, dass das Zusammenleben als Familie keine Perspektive mehr hat. Ihre Unzufriedenheit als Paar wächst, und sie finden kein Mittel dagegen.
Rob den Otter (39)
Trennung als Stigma?
Nina Szyika hält lange an ihrem Familienbild fest. Trennung, Scheidung, das begreift sie als Scheitern. «Ich hatte es unterschätzt, wie sehr ein Kind das Leben auf den Kopf stellt», sagt sie. Als Mia-Lou auf der Welt ist, wird ihr bewusst, dass sie nun eine andere, grössere Verantwortung trägt. Doch da sind auch Ängste, Sorgen, Selbstzweifel. Sie ist die Erste, die in ihrem Freundeskreis Mutter wird. Ab und zu wünscht sie sich ihr altes Leben zurück. «Alle waren begeistert von Mia-Lou, ich hätte mich nicht getraut zu sagen, dass ich das Muttersein nicht immer so spassig finde.»
Sie hat hohe Ansprüche an sich selbst: Alle Breili selber kochen, das Kind immer hübsch anziehen, ein entspanntes Mami sein, die Schwangerschaftskilos rasch verlieren, sechs Monate stillen. «Die Realität war dann die, dass ich die Breili mit schlechtem Gewissen gekauft habe, nachdem ich keinen Platz mehr hatte in der Küche zum Kochen, weil alles überstellt war. Entspannt war ich viel seltener, als ich mir vorgenommen hatte. Nach drei Monaten habe ich abgestillt, weil mich meine Muttermilch tropfenden XL-Brüste und das ewige Abpumpen genervt haben», erzählt Nina Szyika.
Es gibt nicht so etwas wie einen Auslöser für ihre Trennung. «Wir dachten einfach diametral anders», erklärt Rob den Otter. Er ist es, der die Familie verlässt. Heute formuliert er das bewusst so, dennoch spricht er nicht von Schuld. «Es ist kein Scheitern», findet er. «Trennung wird gesellschaftlich noch immer zu sehr als Stigma betrachtet.» Auch seine frühere Frau sagt: «Es war mutig von ihm. So mutig wäre ich nie gewesen.»
Zeit der Kränkung und Verzweiflung
Welche Folgen die Elterntrennung haben wird, bemerken sie, nachdem Fakten geschaffen sind. Es beginnt eine Zeit der Kränkung und Verzweiflung. Heute blicken die Eltern reflektiert zurück, doch damals verstehen sie sich nicht. Tiefe Ohnmacht prägt ihr Leben und Handeln. Mia-Lou ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz ein Jahr alt. «Ich kenne es nicht anders», sagt sie, als sie von der Schule nach Hause kommt und sich zu ihren Eltern dazusetzt. Sie beisst erst mal in ein Stück Wassermelone. Dann sagt sie, dass es nicht ihr liebstes Gesprächsthema sei.
Nina Szyika und Rob den Otter versuchen vieles, auch eine Paartherapie. Doch dadurch sei nur noch deutlicher geworden, dass es eben nicht gehe, meint Rob den Otter. Er denkt nicht gerne zurück an die Zeit, in der er in Baar mit wenig verbliebenem Geld eine Bleibe suchen muss und froh ist, dass er dort seine Mutter hat, die hilft. Seine Mutter schlichtet zwischen den beiden, auch Nina Szyika ist ihr dankbar.
Narben sind bei ihnen allen geblieben. Rob den Otter scheint manches regelrecht zu verdrängen. «An manches kann ich mich nicht erinnern, und an manches will ich mich auch nicht erinnern», sagt er. In jener Zeit gibt es Situationen, in denen die Nachbarin ihm das Kind übergibt, weil seine Noch-Frau ein Zusammentreffen nicht erträgt. Es gibt furchtbar wütende Telefonate oder Whatsapp-Kommunikation, in die sich die beiden stunden- und tagelang hineinsteigern. Die Kommunikation ist geprägt von Vorwürfen und Missverständnissen. «Das hat viel Zeit und Energie gekostet», sagt Nina Szyika.
Freiräume beim Vater
Da sind diese Freitagabende, an denen Rob den Otter unbedingt noch mit Mia-Lou zum Hockey will. Nina Szyika hält das nicht für einen gelungenen Wochenabschluss für ein kleines Kind, «aber Rob hat dann immer auf das Scheidungsurteil hingewiesen und so blieb mir kein grosser Spielraum mehr». Einerseits schade, andererseits habe sie das oft vor noch längeren verfehlten «Whatsapp-Geschichten» gerettet. Wenigstens streiten sie fast nie vor Mia-Lou, das hatten sie sich so vorgenommen.
Für eine lange Zeit nach der Trennung hoffen Nina Szyika und Rob den Otter, die Dinge würden sich lösen. Doch sie geraten immer mehr in eine Sackgasse. Zwar streiten sie nicht wie andere hoch strittig getrennte Eltern über die vereinbarten Betreuungszeiten, doch sie ärgern sich immer wieder über Geschehnisse im anderen Haushalt. Nina Szyika kommt nicht damit zurecht, wie viele Freiräume ihrer Tochter beim Vater geschenkt werden und wünscht sich von ihm mehr verantwortungsvolles Erziehen. Freiräume geben empfindet Rob den Otter aber als gut und richtig für das Kind. Er schlägt eine Mediation bei der Stadt Luzern vor.
Mediatorin stellt Regeln auf
Der erste Schritt zu einem besseren Verhältnis zueinander ist durch die Einwilligung zur Mediation getan. Die Beraterin der Schlichtungsstelle Contact hört sich an, was die Eltern zu sagen haben und stellt Regeln auf. Eine davon lautet: Whatsapp-Kommunikation nur an einem Tag in der Woche und auf keinen Fall in impulsiven Momenten oder bei möglichen Trigger-Punkten. Sie empfiehlt den Eltern, vor Antworten eine gewisse Zeit vergehen zu lassen. «Diese Regel war so wichtig für uns», sagt Rob den Otter rückblickend.
Nina Szyika berichtet, sie habe von der Mediation insofern profitiert, dass sie ihr eigenes Verhalten besser sehen konnte und mehr Kompromisse zuliess. «Loslassen war nie einfach für mich», sagt sie. Ihren eigenen Vater hatte sie früh verloren, und Rob den Otter ist selbst ein Scheidungskind. Früher hatte sie sich aufgeregt, dass Mia-Lou von ihrem Papi auf ein Konzert der «Toten Hosen» mitgenommen wurde, da war sie gerade vier oder fünf Jahre alt. Heute kann sie sagen: «Es hat ihr nicht geschadet und ihren Musikgeschmack zum Guten beeinflusst.» Sie wisse, dass es Mia-Lou bei ihrem Vater sehr gut gehe und er sie liebe.
Für die oftmals missglückte Kommunikation miteinander hätten sie sich auch beieinander entschuldigt, sagt Rob den Otter. «Und wir haben auch Danke sagen können.» Eine Entschuldigung annehmen zu können, sei für sie fast noch wichtiger, ergänzt Nina Szyika. «Es war für mich ein grosser Durchbruch, das Nachtragendsein abzustellen. Es war halt einfach, den Ex-Partner für Sachen verantwortlich zu machen.»
Nina Szyika (38)
Mia-Lous Tipps für Eltern
♦ Überall sollten gleiche oder ähnliche Regeln für das Kind gelten. Nicht, dass das Kind bei Papi immer und überall Schoggi essen kann und bei Mami nie.
♦ Zwischendurch trotzdem noch etwas Gemeinsames machen, mit beiden Eltern. Zum Beispiel einen gemeinsamen Ausflug in den Tierpark Goldau.
♦ Anschaffung eines Familienhandys, das das Kind immer zu Mami und Papi mitnehmen kann. So kann das Kind telefonieren, falls es mit Mami oder Papi reden möchte.
♦ Ferien und Feiertage wie Weihnachten und Ostern aufteilen.
♦ Nicht vor dem Kind streiten.
♦ Nicht das Kind entscheiden lassen, ob es heute lieber bei Papi oder Mami sein möchte. Wir Kinder hätten dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir uns gegen jemanden entscheiden.
Mia-Lous Tipps für Kinder
♦ Mami- und Papi-Box herstellen mit Andenken. Damit du etwas hast, falls du den einen Elternteil vermisst. Versuche, offen darüber zu sprechen mit deinen Eltern oder deinen Freunden.
♦ Schreibe Tagebuch.
♦ Frage nach einem Familienhandy.
♦ Schaffe dir ein Sorgenfresserli an, ein Püppchen, das deine Sorgen frisst.
♦ Denke daran: Du bist nicht das einzige Kind, das getrennte Eltern hat.
♦ Zähle alle Vorteile von zwei Daheims auf. Manchmal bekommst du zum Beispiel doppelt Sackgeld oder fährst zweimal in die Ferien.
Der Preis der Trennung
Beide Eltern sind inzwischen neu verheiratet. Mia-Lou hat bei ihrem Vater zwei Halbgeschwister dazu bekommen. Die Entfernung von Luzern nach Baar ist für die Schülerin gut zu machen, manchmal fährt sie mit dem Zug. Neulich fuhr sie mit einer Freundin in die Stadt zum Shoppen. Ihr Vater hatte es erlaubt – ihre Mutter erschrak, aber im Gegensatz zu früher akzeptierte sie seine Entscheidung.
Rob den Otter leidet heute vor allem unter dem aus seiner Sicht spärlichen Kontakt zur Tochter. Der Preis der Trennung ist hoch. Seine Ex-Frau habe ihm den Kontakt aber nie erschwert, sagt er. Trotzdem will er ein präsenterer Vater sein. Auf die Frage, wie viel Zeit er seine Tochter bei sich haben wolle, sagt er fast trotzig: «100 Prozent. Alles andere ist mir zu wenig.»
Mia-Lou lebt heute zu etwa 30 Prozent im väterlichen Haushalt, die meiste Zeit bei ihrer Mutter. Das passt auch beruflich für beide Eltern, Szyika arbeitet 60 Prozent als Lehrerin an einer Primarschule. Rob den Otter ist Inhaber einer Marketing-Agentur. Die Eltern sind also einverstanden mit der Betreuungsregelung, obwohl sie ihre Tochter vermissen, wenn sie beim jeweils anderen Elternteil ist. Mia-Lou geht es nicht anders: Ist sie bei der Mutter, vermisst sie ihren Vater und umgekehrt.
Gemeinsame Elternschaft nach einer Trennung, darauf sei die Gesellschaft in der Schweiz nicht vorbereitet, kritisiert Rob den Otter. Damit meint er nicht nur gerichtliche Scheidungsurteile, die sich an einem veralteten Rollenbild orientierten, sondern auch behördliche Hürden. Mia-Lou ging die ersten Jahre bei ihm in Baar in die Kindertagesstätte, war aber in Obhut von ihrer Mutter in Luzern. Baar hat keine Subventionen bezahlt, weil Mia-Lou somit ein «ausserkantonales Kind» war. Und Luzern bezahlte nicht, weil der Vater in Baar lebte und Mia-Lou dort in die Kita ging – und somit ebenfalls ausserkantonal.
Reformen für Kinder und Eltern in Trennung sind überfällig. «Viele Männer haben keine Chance», findet er. Väter würden sowohl finanziell geschröpft, – das übrige Geld habe ihm kaum für eine Wohnung gereicht – als auch emotional, weil Väter für mehr Kinderbetreuung von Anfang an kaum in Betracht gezogen würden. «Ich hatte einfach das Gefühl, nicht gesehen zu werden.»
Nina Szyika versteht ihren Ex-Mann heute eher, doch auf die Frage, warum er Mia-Lou nicht etwas mehr betreuen könnte, entgegnet sie: «Weil ich sie nicht mehr hergeben möchte.» Ihr Ex-Mann sagt, das verstehe er sogar.
Das Vertrauen ist zurück
«Freundschaft ist ein grosses Wort», sagt Rob den Otter über die heutige Elternbeziehung. «Ich würde von einem enorm grossen Vertrauensverhältnis sprechen», beschreibt Nina Szyika. Dies zeigt sich am Beispiel der Ferienplanung. Rob den Otter möchte nächsten Sommer einige Wochen nach Vietnam, Mia-Lou will er mitnehmen. «Inzwischen habe ich da viel mehr Vertrauen und fast keine Sorgen mehr», sagt Szyika. «Diese Basis ist über die Jahre gewachsen und stabiler geworden.» Sicher auch dadurch, dass sie sich entschuldigen und sich auch Fehler eingestehen können. Vietnam läuft also und Mia-Lou freut sich.
Bei vielen Eltern wird die Trennung zu einem dauerhaften Kampf ums Kind, im Fall von Mia-Lou ist sie zu einem Kampf für das Kind geworden. Heute machen sich Nina Szyika und Rob den Otter nichts mehr vor: Sind unheilvolle Dynamiken erst mal entstanden, braucht es für eine gute Nachtrennungslösung Zeit und vor allem – auch wenn manche Eltern davon nichts halten – professionelle Hilfe.