Vollzeitmütter
Ganz und gar Mama

Desiree Good



Mit dem positiven Schwangerschaftstest war für Martina Müller klar: «Ich höre mit allem auf, was ich bisher gemacht habe.» Zu diesem Zeitpunkt war die gebürtige Zugerin gerade mal 26 Jahre alt, hatte eine beachtliche Karriere im People-Journalismus hinter sich, arbeitete zu 80 Prozent im Newsroom beim «Blick» und studierte nebenbei an der Fachhochschule für Wirtschaft Betriebsökonomie. Zusammen mit dem Wesen, das in ihr heranwuchs, verspürte Martina Müller plötzlich den starken Wunsch, sich nach der Babypause nicht wieder in die Arbeit zu stürzen, sondern sich voll und ganz auf das Grossziehen ihres Kindes zu konzentrieren. Ihm «ein Nest zu bieten», zumindest bis es in den Kindergarten kommt.
Sie habe das weder geplant noch vorausgesehen, erzählt die unterdessen erneut schwangere 28-Jährige in einem Zürcher Café. Dafür hatte sie auch gar keine Zeit. Seit Martina Müller mit 14 Jahren ihren ersten Artikel für eine Innerschweizer Zeitung verfasste, hat sie im Beruf stets Vollgas gegeben. «Ich war schon immer ein exzessiver Mensch und gebe stets 150 Prozent, egal in welchem Bereich.» Sie komme aus einer Bauernfamilie und sei so erzogen worden, dass man «halt nicht den Fünfer und das Weggli haben kann». Als Vollblut-Journalistin arbeitete sie sieben Tage in der Woche von früh bis spät – seit der Geburt ihrer Tochter Mary-Lou 2012 ist sie mit derselben Überzeugung Vollblut-Mutter und Hausfrau. Diese Entscheidung wurde in ihrem Umfeld mit grossem Erstaunen aufgenommen. Es sei doch heutzutage nicht mehr nötig, dass eine Frau zu Hause bleiben muss!
Vor allem ihr 44-jähriger Ehemann hatte zu Beginn überhaupt kein Verständnis für den plötzlichen Sinneswandel seiner Frau. «Spinnst du? Ohne deinen Job wirst du verblöden. Arbeite wenigstens Teilzeit, sonst wird dir die Decke auf den Kopf fallen!» Seine grösste Angst war, dass seine Frau zum unglücklichen Hausdrachen mutieren könnte, der dann den ganzen Frust an ihm auslassen würde. «Ironischerweise hat mein Mann damit genau die öffentliche Wahrnehmung der Hausfrau vertreten, die mir so Mühe macht», sagt Martina Müller heute lachend. Dieses weit verbreitete Bild der Desperate Housewife, die zu Hause bei den Kindern versauert und ihr Potenzial ans Muttersein und die Familienarbeit verschwendet. Das Schreckensbild aller Feministinnen und Wirtschaftspolitiker. «Es ist doch so: Wenn eine Frau heute sagt, sie gehe in ein Sabbatical, wird sie weniger schräg angeschaut, als wenn sie sich 100 Prozent um ihr Kind kümmern will!»
Option Familie und Kind
Es stimmt, um den Ruf der Hausfrau steht es schlecht. So wie einst die arbeitstätigen Mütter von der Gesellschaft als Rabenmütter verschrien wurden, wird heute der Hausfrau gerne vorgeworfen, sie sei faul, jammernd und ambitionslos. Eine Glucke, die ihrem gutverdienenden Mann auf der Tasche sitzt und für ihn das kuschende Heimchen am Herd gibt. Hausfrauen passen so gar nicht ins Bild der emanzipierten und modernen Frau, die wir aus Hollywoodfilmen oder Frauenzeitschriften kennen. Dieser Superfrau, die auch als Mutter weiter mit einem Bein im Job bleibt, mit der anderen Hand ihre Kinder liebkost und managt – scheinbar mühelos. Schaut man sich jedoch im wirklichen Leben um, liest in Internet-Chats und Mütterforen die unzähligen Kommentare – zum Beispiel anlässlich der kürzlich abgelehnten SVP-Familieninitiative –, zeichnet sich neben der berufstätigen Mutter ein neuer Frauentyp ab: Da melden sich Vollzeitmütter zu Wort, die herzlich wenig mit dem verstaubten Hausfrauen-Klischee am Hut haben, das sich seit den Fünfzigerjahren hartnäckig in unseren Köpfen festkrallt. Da wollen plötzlich junge, gut ausgebildete Frauen wie Martina Müller gehört werden, die ihre Karriere bewusst für ein paar Jahre unterbrechen, um für ihre Kinder da zu sein. «Ich möchte bis 30 vier Kinder gebären. Wenn das jüngste in den Kindergarten kommt bin ich 34 Jahre alt. Ein gutes Alter, um wieder in den Job einzusteigen», meint die Journalistin selbstbewusst.
In den USA gibts für diesen Trend seit längerem einen Namen. Man spricht vom «Opting Out», wenn qualifizierte Frauen ihrem Arbeitsplatz den Rücken kehren, weil sie lieber für Kinder und Familie optieren. In der Schweiz sind diese Frauen statistisch noch nicht erfasst, erst kürzlich präsentierte jedoch das deutsche Institut für Demoskopie in Allensbach die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zum Rollenverständnis von Mann und Frau. Daraus geht hervor, dass sich wieder mehr Frauen ein traditionelles Familienmodell vorstellen können, als noch in den Neunzigern. Und das österreichische Familienministerium veröffentlichte 2011 eine Umfrage unter Jugendlichen, bei der über die Hälfte der Frauen zwischen 14 und 24 Jahren angaben, sie könnten sich vorstellen, als Hausfrau zu leben – wenn der Mann auch genug verdiene.
Nicht um jeden Preis
Was auf den ersten Blick nach einem Backlash aussieht, als Rückzug der Frau zurück an den Herd, wird relativiert, wenn man die neuen Hausfrauen trifft. Zum Beispiel Susan Ponti. Eigentlich wollte die 29-jährige Wirtschaftsinformatikerin nach der Geburt ihres Sohns ein halbes Jahr Babypause machen, um dann wieder in ihrer IT-Firma zu arbeiten. Sie hat sich seit ihrer Lehre als Softwareentwicklerin zur Projektleiterin hochgearbeitet. Und daneben Wirtschaftsinformatik studiert. Als dann der kleine Leonardo einige Wochen zu früh auf die Welt kam, verwarf sie ihren Plan jedoch ziemlich schnell. «Es war eine sehr emotionale Zeit, mit vielen Ängsten um den Kleinen. Ich merkte, wie sehr mich Leonardo brauchte», erzählt die gebürtige Schaffhauserin in ihrer schicken Wohnung in Zürich Wollishofen. Der Wohnzimmerboden ist mit Spielsachen übersät. Mittendrin sitzt der unterdessen 15 Monate alte Leonardo, der nach Mama verlangt. Susan Ponti setzt sich zu ihrem Sohn auf den Boden und hält sich dabei den Bauch. Sie ist wieder schwanger, mit Zwillingen.
Als Leonardo ein halbes Jahr alt war, besprach sie sich mit ihrem 43-jährigen Ehemann – auch in der IT-Branche tätig – ob es vom Geld her reichen würde, wenn nur noch ein Gehalt reinkäme. «Ganz klar, ich bin privilegiert: Mein Mann verdient gut und unterstützt mich voll in der neuen Rollenverteilung.» Das Ehepaar teilte dem Arbeitgeber mit, dass sie den Mutterschaftsurlaub gerne auf ein Jahr verlängern und ihr Pensum auf 50 Prozent reduzieren möchte. Was sich seitens der Firma leider als schwierig herausstellte. Selbst ein Job auf tieferem Niveau konnte man ihr nicht zusichern. «Aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage, wie es politisch korrekt hiess.» Für Susan Ponti war da aber schon klar, dass sie lieber zu Hause beim Kind bleiben wollte, statt zwei Tage im Büro zu sitzen, um mit dem kleineren Lohn dann die Krippe zu bezahlen. «Dieses Nullsummenspiel wars mir einfach nicht wert, auf die Zeit mit Leonardo zu verzichten.» Sie wäre gerne beruflich am Ball geblieben, um weiterzukommen – aber nicht um jeden Preis. «Ich habe bereits viel gearbeitet und erreicht – es war Zeit für einen neuen Abschnitt in meinem Leben!»
Immer noch engagiert
Heute verbringt Susan Ponti die Tage anstatt als Teamleiterin von 25 Männern als Managerin ihres kleines Sohnes. «Das ist manchmal gar nicht so weit voneinander entfernt», sagt sie lachend. Die Tage mit Leonardo seien mindestens so intensiv wie ihr Arbeitsalltag zuvor. «Mit dem Unterschied, dass im Job nach 19 Uhr Ruhe war.» Trotzdem mag sie ihr neues Leben zu Hause, kocht, putzt und schmeisst den Haushalt alleine. Alles eine Frage der Einstellung, findet sie. «Ich habe mich nicht für ein Leben am Herd entschieden, sondern für eines mit meinem Kind!» Susan Ponti besucht mit Leonardo Spielgruppen und Krabbeltreffs, wo sie auf andere Vollzeitmamis trifft.
Aber Babytalk allein würde sie auf die Dauer langweilen. Ist der Kleine im Bett, wird mit dem Ehemann das aktuelle Weltgeschehen, Themen aus Politik und Wirtschaft diskutiert. Zudem ist sie ehrenamtlich im Vorstand eines wirtschaftlichen Frauenvereins, tauscht sich regelmässig mit ihren Kollegen aus der IT-Branche aus und ist neuerdings auch politisch tätig. Sie sitzt im Vorstand der Grünliberalen und kandidiert für den Gemeinderat. «Ich bin immer noch dieselbe engagierte Person, die ich früher schon war.» So will sie sich zum Beispiel stark machen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. «Ich habe mich zwar für den Weg als Hausfrau entschieden, kämpfe aber dafür, dass jede Mutter selber wählen kann, welches Modell für sie stimmt.» Nach ihren eigenen Erfahrungen ist sie überzeugt, dass viel mehr möglich wäre, wenn der Staat, die Politik und die Arbeitgeber das Modell der Teilzeitarbeit mutterfreundlicher gestalten würden.
Erschöpfte Mütter
Die Gründe fürs Zuhausebleiben mögen unterschiedlich sein. Vielen Müttern ist die Zeit mit dem Kind einfach wichtiger, als ein unbefriedigender Teilzeit-Job, die damit verbundene Doppelbelastung und das manchmal zermürbende Gefühl, zwar vieles, aber nichts so richtig zu machen. Vor allem in den deutschen Medien stand die arbeitende Mutter in letzter Zeit vermehrt im Fokus. Im «Spiegel»–Essay «Die grosse Erschöpfung» etwa schreibt Autorin Claudia Voigt über die angebliche Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Und erwähnt dabei die häufig betroffenen Frauen der sogenannten Sandwich-Generation zwischen 35 und 45 Jahren, die durch die Doppel- bis Dreifachbelastung von Job, Familie und Haushalt nonstop am Limit zum Burn-out laufen. Es ist diese Generation von Frauen, die in dem Glauben aufwuchs, dass alles möglich sei, eine erfolgreiche Karriere und ein glückliches Familienleben. Ebenfalls für Aufruhr sorgte Antonia Baums Artikel in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» «Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen», in dem die noch kinderlose Journalistin sich ernsthaft fragt, ob sie angesichts der vielen Berichte über gestresste Mütter in ihrem Land «die Katastrophe ins Haus holen möchte», indem sie ein Baby bekommt.
Für Noëmi Holenstein stellte sich diese Frage nicht. Als sie das erste Mal unerwartet schwanger wurde, war die Ostschweizerin 17 Jahre alt, stand kurz vor der Matur und wohnte bei ihren Eltern in Frauenfeld. «Ich komme aus einer Ärztefamilie. Es war klar, dass ich studiere.» Deshalb machte sie die Matur, bekam ihre erste Tochter Morena und schrieb sich an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen für ein Seklehrerstudium ein. Finanziell unterstützt wurde sie während des Studiums von den Eltern. «Vielleicht habe ich mich bei meinen zwei anderen Kindern fürs Zuhausebleiben entschieden, weil ich Morena als Baby von einer Tagesmutter fremdbetreuen liess. Quasi aus schlechtem Gewissen», erzählt die heute 30-jährige Noëmi Holenstein in ihrem neuen grossen Haus in Stettfurt im Hinterthurgau. Mit am Tisch sitzt ihre jüngste eineinhalbjährige Tochter Juno, der mittlere Sohn Beda ist gerade in der Spielgruppe.
Am Ball bleiben
Nach dem Studium fand Noëmi Holenstein rasch eine Stelle als Sekundarlehrerin in Zermatt, wo sie ein Jahr arbeitete. Zusammen mit Mann und Tochter zog sie danach in eine Wohnung in Stäfa am Zürichsee, wo Noëmi Holenstein erneut eine 100-Prozent-Stelle als Seklehrerin antrat. Als sie mit ihrem zweiten Kind Beda schwanger wurde und danach wieder als Klassenlehrerin arbeiten wollte, hiess es: mindestens in einem 60-Prozent-Pensum. Für die Ostschweizerin kam das nicht in Frage, sie wollte mehr für ihre Kinder da sein, zu Hause bleiben. Natürlich half es, dass ihr Mann als Finanzdirektor in der Chemiebranche genügend verdient. Als sie mit ihrem dritten Kind Juno schwanger wurde, kam der Wunsch nach einem Eigenheim und die Familie zog zurück in ihre Heimat Ostschweiz, wo sie auf dem Land ein Haus bauten. Fortan war Noëmi Holenstein nicht nur mit ihren Kindern beschäftigt, sondern auch mit dem Einrichten ihres neuen Hauses. «Ein Privileg, dass ich momentan nicht arbeiten muss und meine Kinder und das Haus voll geniessen kann. Ich bin zum Glück noch ein junges Mami mit viel Energie für diesen Lebensabschnitt.»
Obwohl Hausfrau, wie sie sagt, ein Managerjob sei, vermisste auch sie zwischen Gesprächen über Windelaktionen, Muki-Turnen und Taxi-Diensten bald mal «etwas für den Kopf». Deshalb freute sie sich, als sie vor einem Jahr zum Mitglied der Schulpflege gewählt wurde. Ungefähr zweimal im Monat finden Abendsitzungen statt, dazu kommen administrative Arbeiten. «Dank diesem Job bleibe ich am Ball und kann meinen pädagogischen und persönlichen Hintergrund einbringen.» Auch wenn es sie manchmal ärgert, wenn die älteren Herren aus dem Schulrat meinen: «Du hast doch viel Zeit, du arbeitest ja nicht.» Fest steht, dass Noëmi Holenstein ihre Kinder nicht fremdbetreuen lassen will, bis Juno in den Kindergarten kommt. Danach sei alles offen. «Wenn Morena 16 Jahre alt ist, bin ich schliesslich erst 35.» Vielleicht macht sie dann ein zusätzliches Masterstudium, engagiert sich in der Gemeindepolitik oder lässt sich zur Schulleiterin ausbilden. «Mein Mann und ich schmieden manchmal Pläne, wie es wäre, gemeinsam eine Privatschule zu eröffnen.» Irgendwann vielleicht. Aber zuerst muss sie ihre Tochter wickeln, Beda von der Spielgruppe abholen und danach Mittagessen kochen.