Stiefväter
Freud und Leid von Bonus-Papas
Von Veronica Bonilla Gurzeler
Patchwork-Gefüge sind oft kompliziert und verändern sich stetig. Das zeigt das Gespräch mit Reto* (43) und Nick (50). Nick ist der Stiefvater von Retos Tochter Mia (13) und Reto selbst ist sogar zweifacher Stiefvater. Doch alles der Reihe nach:
«wir eltern»: Reto, du warst 24, als du Mara und ihren fünährigen Sohn Lars kennenlerntest. Wie war das für dich, eine Freundin mit einem Kind zu haben?
Reto: Ich fands super. Ich wusste schon immer, dass ich mal Kinder wollte. Ausserdem arbeitete ich während meines Studiums in einem Kinderheim. Mit Lars forcierte ich nichts, redete Mara nicht rein und trat nicht als Stiefvater auf. Es entwickelte sich alles sehr unkompliziert.
Nach zwei Jahren seid ihr in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Was änderte sich?
Reto: Durch das Zusammenleben übernahm ich mehr Erziehungsverantwortung, etwa bei Tisch oder wenn Mara nicht da war. Entscheidungen hat Mara aber immer allein getro‑en, ich hatte höchstens eine beratende Funktion; das war o.k. für mich.
Ein paar Jahre später haben du und Mara eine Tochter bekommen.
Reto: Ja, da war ich 29 und Mara 30. Mir war wichtig, Lars das Gefühl zu geben, dass wir nun zu viert eine Familie sind und er genauso dazugehört. Mein Fokus war aber schon sehr stark auf dem Baby und ich realisierte, dass meine Beziehung zu Lars eine andere wäre, wenn ich ihn nicht erst mit sechs kennengelernt hätte. Es war nicht alles rosig. Knapp zwei Jahre später trennten wir uns.
Hast du Lars nach der Trennung noch regelmässig gesehen?
Reto: Ganz am Anfang schon, er hatte auch noch ein Zimmer bei mir. Doch dann musste ich wahnsinnig dafür kämpfen, dass ich für unsere Tochter Mia nicht nur das gemeinsame Sorgerecht, sondern auch die alternierende Obhut erhielt. Dadurch habe ich Lars aus den Augen verloren. Erst nach einem Jahr, als Mara und ich uns einigten und wieder zusammen reden konnten, haben Lars und ich uns wieder angenähert.
Ihr habt immerhin 6 Jahre zusammengelebt. Lars war 12, als eure Familie zerbrach.
Reto: Ja, es war auch für ihn eine Trennung. Ich habe Lars immer sehr gern gehabt, auch jetzt noch. Gerade als Mara schwanger war, habe ich auch viel mit ihm allein unternommen und später mit Mia waren wir zu viert unterwegs. Lars ist heute 24 und es ist schön, dass wir wieder einen guten Kontakt zueinander haben.
Nick, kurz nach Retos und Maras Trennung hast du Mara kennengelernt. Ihr seid seit acht Jahren ein Paar. Wie hast du die erste Zeit erlebt?
Nick: Wir gingen unsere Beziehung langsam und vorsichtig an. Beide hatten wir eine schwierige Trennung hinter uns und wollten das Durcheinander nicht noch grösser machen, aufräumen stand im Vordergrund. Ich habe selber drei Kinder und suchte keine Familie, sondern eine Partnerin.
War Zusammenziehen eine Option?
Nick: Nein, wir waren nicht mehr jung und unbedar. Wenn man im Leben schon einige Stürme erlebt hat, schaut man, wie das Wetter ist, bevor man in See sticht. Weil die Mutter meiner Kinder kurz nach unserer Trennung gestorben ist, lebten wir als Familie zusammen und es war klar, dass die Kinder von der Idee einer weiteren Veränderung nicht begeistert gewesen wären; auch weil es bedeutet hätte umzuziehen.
Wie hat sich deine Beziehung zu Lars und Mia entwickelt?
Nick: Lars war damals voll in der Pubertät und nicht wirklich erreichbar. Er verbrachte lieber Zeit mit seinen Kollegen. Mia sah ich mehr, ihr bin ich sehr nah. Wir waren o zusammen mit dem Wohnmobil unterwegs, gingen wandern, gummiböötle oder Velo fahren. O waren auch meine Kinder dabei, die aber mittlerweile erwachsen sind. Gerade gibt es jeden zweiten Sonntagabend ein Famiienessen und Lars tre‑e ich auch mal allein; junge Erwachsene sind einfach spannend im Austausch und sehr bereichernd. Dafür hat Mia in letzter Zeit nicht mehr so Lust, wenn ich mit ihr Pingpong spielen will; das ist das Alter und voll o.k.
Verstehst du dich als Stiefvater?
Nick: Nein, ich ging bewusst nie in die Vaterrolle und hatte auch nicht das Gefühl, dass es das braucht. Bei Mia war klar, sie hat einen präsenten Vater und eine ebensolche Mutter; Mara und ich haben früh abgemacht, dass ich nicht miterziehe. Klar, wenn es etwas gibt, das nicht geht, dann sage ich es; das tue ich überall. Mir geht es darum, Werte zu vermitteln. Lars und Mia gegenüber sehe ich mich eher in der Göttirolle, als verlässliche Vertrauensperson, als Freund einer anderen Alterskategorie.
Konikte sind vorprogrammiert, wenn zwei Familiensysteme aufeinandertreffen. Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht? Reto, du wurdest ein zweites Mal Stiefvater.
Reto: Am Anfang hat alles wunderbar gepasst. Mia und Julia, die Tochter meiner neuen Partnerin, haben sich sehr gut verstanden, was uns bewog, recht bald zusammenzuziehen. Wir liessen uns im Vorfeld von einer Patchwork-Expertin beraten und diskutierten über unsere Vorstellungen von Erziehung. Wo wir nicht übereinstimmten, suchten wir einen Kompromiss. Als unsere Beziehung immer schwieriger wurde, funktionierte das immer schlechter.
Den berühmten Satz «du bist nicht mein Vater und hast mir nichts zu sagen» hast du bestimmt auch gehört.
Reto: Ja, bei Julia und bei Lars. Ich war aber darauf vorbereitet, er warf mich nicht aus der Bahn. Ich hatte mir vorgenommen zu sagen: «Es stimmt, dass ich nicht dein Vater bin, aber wir leben zusammen und gewisse Sachen entscheide ich mit. Wenn du meine Regeln nicht magst, müssen wir es zu dritt mit deiner Mutter anschauen.»
Hat das funktioniert?
Reto: Bei Lars schon, aber bei Julia nicht, doch das lag an meiner sehr belasteten Beziehung zu ihrer Mutter. Wir trennten uns schliesslich wieder und heute habe ich keinen Kontakt mehr zu Julia, obwohl wir fünf Jahre zusammenlebten. Mia schreibt noch mit ihr; wer weiss, vielleicht treen wir uns mal wieder, wenn genug Zeit verstrichen ist. Es würde mich freuen.
Es besteht das Risiko, dass die Kinder ihre Stiefväter auch wieder verlieren.
Nick: Ja, aber ich bin sicher, dass ich zu Mia und Lars auch eine Beziehung aufrechterhalten würde, wenn Mara und ich nicht mehr zusammen wären.
Reto: Es ist toll, dass sich Mia mit Nick gut versteht und die Beziehung zu ihm für sie bereichernd ist. Es kommt sogar vor, dass wir alle zusammen etwas unternehmen. Nach den vielen schwierigen Zeiten bin ich sehr dankbar und glücklich, dass das so ist.
Nick: Ja, Mia wirkt deutlich entspannter, seit die Erwachsenen in ihrem Leben miteinander klarkommen.
Reto: Ohne die Bereitschaft aller zum Wohl der Kinder aufeinander zuzugehen und verzeihen zu können, wäre dies nicht möglich gewesen. Klappt das, kann die Konstellation durchaus ein Gewinn sein, für die Kinder und die Erwachsenen.
* Zum Schutz der beteiligten Kinder haben wir alle Personen anonymisiert.