
Krippen
Eine Ex-Kita-Angestellte packt aus: «Ich war allein mit sechs Babys»
Die 30-jährige Mirjam aus Schlieren ist aus ihrem Beruf der Kita-Betreuerin ausgestiegen. Ihren Sohn würde sie nie in einer Krippe betreuen lassen. Warum? Das erzählt sie hier.
«Nach wie vor liebe ich Kinder und mag es, mit ihnen zu arbeiten. So wie derzeit eben als Tagesmutter. Aber nochmals in einer Kita arbeiten? Oder meinen Sohn in einer Kita betreuen lassen? Niemals!
Ich konnte einfach nicht mehr dahinterstehen, was ich da täglich in meinem Beruf gemacht habe. Ich denke, das Problematischste ist die Personalnot. Und damit hängen auch die Arbeitsbedingungen zusammen.
Keine Lehrstelle ohne ein Jahr Praktikum
Eine Kostprobe davon habe ich schon vor meiner Lehre bekommen. Damals war es gang und gäbe, dass man erst ein Jahr Praktikum machen musste, bevor man seine Lehre starten durfte. Was ich aber nicht wusste, war, dass in meiner Kita gleich drei Praktikantinnen quasi um eine einzige freie Lehrstelle gewetteifert haben. Das ist doch Ausbeutung! Meine Eltern haben das zum Glück gemerkt, und ich habe mir einen anderen Praktikumsplatz mit fixer Lehrstellenzusage gesucht.
Meine Lehre hat mir Spass gemacht. Trotzdem ist mir schon damals aufgefallen, mit wie wenig Wärme die Betreuerinnen zuweilen über die Kinder gesprochen haben. Zu Anfang meiner Berufstätigkeit konnte ich das absolut nicht verstehen. Erst später habe ich gemerkt: Die Kolleginnen sind einfach am Anschlag.
Man schaut nur noch, dass man durch den Tag kommt
Nach meiner Lehre habe ich die Stelle gewechselt. Das war eine bilinguale Kita und ich durfte viele Fortbildungen machen. Das hat mir gefallen, denn als FaBe musst du schauen, dass du nicht für alle Zeiten einfach Mitbetreuerin bleibst. Vielleicht waren die genehmigten Fortbildungen ein Mittel, das überlastete Personal zu halten. Es kam nämlich vor, dass ich als Berufsanfängerin zusammen mit dem Lehrmädchen und 12 Anderthalbjährigen dastand. Eigentlich müssten für zwölf Kinder zwei ausgelernte Fachkräfte plus Lehrling zuständig sein.
In so einer Situation, da macht man pädagogisch gar nichts mehr und schaut nur noch, dass man irgendwie durch den Tag kommt. Auch in meiner nächsten Krippe war das nicht anders. Nach aussen sah alles super aus: Yoga, Musik, Schwimmen, stylishe Einrichtung ... die perfekte Fassade. Aber auch da war ich oft allein mit sechs Babys. Wie das ist? Na, eines ist müde und weint, eines ist hungrig, will geschöppelt werden und weint, eines hat eine volle Windel und weint, zwei weinen, weil die anderen weinen ...
Man hat schlicht keine Kapazität, auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen und die Kleinen sind einem ja völlig ausgeliefert. Abends gibt man sie dann lächelnd den Müttern und Vätern zurück und sagt, was für einen tollen Tag das Kind gehabt hat. Einmal war ich so fix und fertig, da habe ich die Kinder tatsächlich ganz allein gelassen, bin aufs WC gegangen und hab da geweint. Sowas kommt vor. Es gab sogar Situationen, da hatte ich richtig ein bisschen Angst, weil ich meiner enormen Verantwortung einfach nicht gerecht werden konnte. Da sind wir mit vier Betreuerinnen und 30 Kindern spazieren gegangen. Es ist unmöglich, so die Sicherheit zu garantieren. Wir haben ja keine acht Arme wie ein Krake. Klar, gibt es die Kitaaufsicht, aber die kommt ja immer nur angemeldet. Da bereitet sich die Kita halt entsprechend vor.
Warum das Personal fehlt? Da zieht eins das andere nach sich. Wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind, wills keiner machen, wenns keiner machen will, werden die Arbeitsbedingungen noch schlechter. Auch der Lohn ist so eine Sache: Mir haben sie schon für eine 100-Prozent-Stelle 3800 brutto angeboten. Davon wirds schwierig, eine Wohnung und ein Leben zu finanzieren. Ich denke, auch das ist mit ein Grund, weshalb so viele FaBes umsatteln. Schon im Hort ist es finanziell besser. Ich hoffe, im Erzieher:innen-Beruf ändert sich in naher Zukunft etwas. Denn die Arbeit könnte wirklich wunderschön sein. Könnte ...»