Interview
Ein Kind weniger – dem Klima zuliebe?
Dominic Roser setzt sich als Umwelt- und Familienethiker mit komplizierten Fragen auseinander. Was sagt er zum Schlagwort Kinderscham und zur Frage, ob man sich angesichts der Klimakrise trotzdem eine Familie wünschen darf?
«wir eltern»: Herr Roser, Sie haben zwei Kinder. Plagt Sie angesichts des Klimawandels deswegen ein schlechtes Gewissen?
Dominic Roser: Nein. Aber manchmal muss ich es mir aktiv zusprechen, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss... Ich bin jedoch nicht der Ansicht, dass Kinder einfach nur schädlich sind fürs Klima.
Die Fakten sind glasklar: Wir Schweizerinnen und Schweizer haben einen Fussabdruck, mit dem wir drei Erden beanspruchen würden. Jedes weitere Kind belastet das Klima.
Ja, der Umwelt geht es schlecht. Deswegen braucht es radikale Lösungen – das Klimaziel für die Schweiz muss bis im Jahr 2050 bei Netto-Null Emissionen liegen. Aber es ist chancenlos, mit weniger Kindern einen wichtigen Beitrag zum Null-Ziel zu leisten. Man kann und darf die Geburtenrate nicht einfach in menschenrechtswidriger Art senken, indem man etwa Mütter zwangssterilisiert.
Welche Lösungen schlagen Sie vor?
Wenn die ganze Welt null Emissionen ausstossen soll, müssen diese auch pro Kopf null sein. Egal wie viele Köpfe wir haben. Um null CO2-Ausstoss pro Kopf zu erreichen, führt kein Weg an grossen Fortschritten bei den sauberen Technologien vorbei. Wir müssen herausfinden, wie wir Energie, Essen oder Mobilität billig, einfach und ohne Emissionen herstellen können.
Gibt es aus ethischer Sicht eigentlich ein grundlegendes Recht, Kinder zu haben?
Der menschliche Körper ist etwas enorm Persönliches. Somit ist das Erschaffen von neuen Körpern – also Kinder zu zeugen – ebenfalls enorm persönlich und sollte durch ein Recht geschützt sein. Die Frage, weshalb wir ein Recht auf Leben, ein Recht auf Essen, ein Recht auf Sexualität haben, ist zwar nicht so einfach zu beantworten. Aber gewisse Dinge sind so grundlegend wie die Axiome in der Mathematik – irgendwann macht es keinen Sinn mehr, noch tiefer zu bohren.
Wenn es ein Menschenrecht gibt, Kinder zu bekommen, folgt daraus auch das Recht, so viele Kinder zu bekommen, wie man will? Selbst wenn die Umwelt leidet?
Diese Frage scheint schwieriger zu beantworten. Gewisse Vertreter der Klima-Debatte sind der Ansicht, dass 2,1 Kinder pro Paar eine natürliche Grenze setzen, weil damit die Reproduktion der Spezies gewährleistet ist. Allerdings finde ich die Diskussion darüber, wo genau der Cutting Point liegen soll, bizarr. Wenn es mein Recht ist, die Kontrolle über meinen Körper zu haben, ist es auch mein Recht, so viele Kinder zu haben, wie ich will.
Rechte und Pflichten gehen ja oft miteinander einher. Müssen Eltern die ökologischen Folgen, die ihr Nachwuchs verursacht, selber tragen?
Als ich vor vielen Jahren das erste Mal entdeckte, dass das Kinderhaben ökologisch problematisch ist, war es auch für mich ein Aha-Erlebnis. Kinder verursachen CO2. Da die Eltern deren Erzeuger sind, sind sie die Verursacher. Auch wenn ich mich mit dieser Aussage nicht beliebt mache – es leuchtet mir nicht ein, weshalb die Gesellschaft für diese persönliche Entscheidung der Eltern geradestehen muss.
Was heisst das konkret?
Das Recht auf Kinder bedeutet nicht zwingend, das Recht zu haben, bei dieser Entscheidung von der Gesellschaft mittels Subventionen und Steuerabzügen unterstützt zu werden. Die nahe liegendere Frage wäre, ob Eltern die Gesellschaft für die Umweltfolgen ihrer Entscheidung entschädigen sollen.
Kinder stiften gesellschaftlich und persönlich auch einen immensen Nutzen, sie schenken Eltern Lebensfreude und Lebenssinn. Antinatalisten hingegen sprechen von ökologischen und sozialen Schäden, die mit einem Kind in die Welt getragen würden. Erklären Sie mir als Ökonom: Kann man Kosten und Nutzen eines Kindes gegeneinander aufrechnen?
In der Wissenschaft spricht man von positiven oder negativen Externalitäten und stellt die Frage: Nützen oder schaden Kinder der Gesellschaft? Zu den positiven Merkmalen von Nachwuchs gehören etwa Altersvorsorge, Innovationskraft oder der Nutzen für das Kind selber. Es gibt aber unzählig viele weitere Aspekte. Ich sah noch niemanden, der es schaffte, eine Gesamtkostenrechnung aufzustellen – auch wenn das theoretisch möglich ist. Aber das ist auch gut so: Schliesslich sollten wir die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht primär davon abhängig machen, ob dieses eher einen Nutzen oder eine Belastung für die Gesellschaft darstellt.
zvg
Dominic Roser arbeitet am Interdisziplinären Institut für Ethik und Menschenrechte an der Universität Freiburg, seine Schwerpunkte sind Umwelt-, Wirtschafts- und Familienethik. Der Ethiker und Ökonom ist in der Bewegung «Effektiver Altruismus» aktiv und lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Bern Bümpliz. Er ist Co-Autor des Buchs «Ethik des Klimawandels – Eine Einführung», das im WBG-Verlag erschienen ist.
Und noch eine persönliche Frage: Versuchen Sie als Vater Ihre Kinder zu Klimaverantwortlichkeit zu erziehen?
Meine Kinder sind noch klein. Aber an einer Klima-Demo in Bern erklärte ich meinem Sohn, dass Autos Dreck herauslassen, der die Bäume kaputt macht. Ich sagte, dass es gut wäre, nur noch saubere Autos zu bauen. Mein Sohn erwiderte etwas trotzig: «Ich liebe aber Autos, die Dreck rauslassen!» Drei Wochen später fragte er plötzlich: «Hat Oma eigentlich ein sauberes oder ein dreckiges Auto?»
Ihr Sohn hat sich Gedanken über Ihre Worte gemacht...
Wir Eltern haben grundsätzlich die Aufgabe, lebensbejahend zu sein. Das Leben zu «zelebrieren» und den Selbstwert der Kinder zu stärken. Wir müssen keine «Kinderscham» haben – aber uns schämen, wenn wir unsere Kinder nicht umweltfreundlich erziehen.