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Ehe für alle
Ehe für alle? Das sagen Fachleute
Soll die Ehe allen Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, offen stehen? Diese Frage lässt sich aus verschiedenen Perspektiven beantworten. Fünf Einschätzungen aus Kirche, Recht, Ethik, Entwicklungspsychologie und von der Adoptionsfachstelle.
Wer für oder gegen die Ehe für alle argumentiert, zieht beispielsweise ethische Argumente bei oder bringt das Kindswohl ins Spiel. Fünf Perspektiven auf die Ehe für alle aus den jeweiligen Fachgebieten.
1. Das sagt die Katholikin
«Die Kirche darf sich nicht dazwischen stellen»
Franziska Driessen-Reding, Präsidentin Synodalrat Katholische Kirche Kanton Zürich:
wir eltern: Konservative Kreise wollen, dass die Ehe und Familiengründung heterosexuellen Paaren vorbehalten bleibt. Warum sehen Sie als oberste Katholikin des Kantons Zürich das anders?
Franziska Driessen-Reding: Die Liebe ist das Schönste, was uns Menschen im Leben geschenkt werden kann. Und Gott ist die Quelle jeder Liebe, er liebt alle Menschen so, wie sie sind. Homosexuelle und Queere sind keine Fehler in Gottes Schöpfung. Wenn zwei Menschen ihre Liebe auch vor Gott bezeugen wollen und um seinen Segen bitten, darf sich doch die Kirche nicht dazwischen stellen und das verhindern wollen. Wer sind wir denn…?
Widerspricht Ihre Haltung nicht dem christlichen Glauben, der sagt, dass Homosexualität Sünde ist?
Es gibt in der Bibel, im Alten wie im Neuen Testament, einzelne Verse, die das tatsächlich so sagen. Aber diese Texte sind zwei- bis dreitausend Jahre alt und stammen aus einer ganz anderen Kultur und Epoche. Man darf nicht einzelne Verse da rausbrechen und als geltende Regel für alle Zeiten verkünden. Das ist blanker Fundamentalismus. Das Verständnis von Homosexualität hat sich um 180 Grad gewandelt. Unsere Kirche hinkt da noch ein wenig hinterher.
Die Schweizer Bischöfe sind gegen die Ehe für alle. Können Sie deren Beweggründe nachvollziehen?
Sie haben Angst davor, das Sakrament der Ehe zwischen Mann und Frau, die auch offen ist für Nachkommenschaft, könnte mit der Ausweitung des Ehebegriffs verwässert werden. Natürlich ist eine Ehe zwischen Mann und Frau und eine homosexuelle Beziehung nicht genau das Gleiche. Doch beides sind Formen echter Liebe. Letztlich zählt für mich nur das.
Sollen gleichgeschlechtliche Paare Kinder zeugen oder adoptieren können?
Warum sollten zwei Männer oder zwei Frauen schlechtere Eltern sein? Adoption ist natürlich sehr sensibel, im Zentrum steht das Wohl des Kindes. Das gilt für Hetero- wie für Homopaare. Eine genaue Prüfung, in welche Umgebung ein Kind kommt, ist sehr wichtig.
Bezüglich Leihmutterschaft habe ich schon Bedenken. Sollte sie dereinst tatsächlich Thema werden, wie es die Gegner befürchten, müssen wir uns überlegen, wie verhindert werden kann, dass Frauen ausgebeutet werden, die aus Not ihren Körper «leihen». Fortpflanzungsmedizin als Geschäft müssen wir kritisch hinterfragen. Doch deswegen nun das Zeugungs- und Adoptionsrecht homosexueller Paare zu bekämpfen, ist total unglaubwürdig.
2. Das sagt die Juristin
«Gleiche Rechte für alle»
Prof. Dr. Andrea Büchler, Lehrstuhl für Privatrecht und Rechtsvergleichung
wir eltern: Der Artikel 14 der Bundesverfassung legt fest, dass das Recht auf Ehe und Familie gewährleistet ist. Dass die Ehe ausschliesslich zwischen Mann und Frau geschlossen werden darf, ist nicht explizit festgelegt. Dennoch ist die Eheschliessung für gleichgeschlechtliche Paare bisher nicht erlaubt. Ist das juristisch überhaupt vertretbar?
Andrea Büchler: Das soll ja jetzt geändert werden. Das bisher geltende Verbot der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat mit dem traditionellen Verständnis der Ehe als Bündnis von Mann und Frau zu tun. Das steht zwar nicht explizit in der Verfassung oder im Gesetz, war aber klar das Verständnis des Verfassungs- und des Gesetzgebers.
Wird die Ehe für alle im September vom Volk angenommen, welche Rechte haben gleichgeschlechtliche Paare nach der Heirat mehr als in der eingetragenen Partnerschaft?
Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft mit ihrem besonderen Regelwerk wird es dann nicht mehr geben. Mit der Eheschliessung erhalten gleichgeschlechtliche Paare zum Beispiel auch das Adoptionsrecht, für sie gilt die Errungenschaftsbeteiligung als ordentlicher Güterstand, es gelten die Regelungen über den nachehelichen Unterhalt usw. Es geht aber natürlich vor allem darum, dass alle Paare, egal in welcher Geschlechterzusammensetzung, den gleichen Zugang zu den gleichen Instituten haben sollen, also gleiche Rechte für alle.
Warum sollen lesbische Ehepaare ausschliesslich Samen aus einer Schweizer Samenbank beziehen dürfen?
Die Regelung sieht vor, dass die Mutterschaftsvermutung zugunsten der Partnerin der gebärenden Frau nur dann zum Tragen kommt, wenn die Samenspende nach Schweizer Recht, das heisst in der Schweiz durchgeführt wurde. Damit soll vor allem sichergestellt werden, dass die Spende nicht anonym erfolgt. Die anonyme Samenspende ist in der Schweiz verboten. Das Kind hat ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung.
Werden schwule (Ehe-)Männer, die mit lesbischen Paaren Kinder zeugen, als Väter rechtlich anerkannt?
Die sexuelle Orientierung einer Person per se ist nicht relevant für die Frage, ob jemand Elternteil wird oder nicht. Bei verheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren besteht nach Einführung der Ehe für alle die Vermutung der Elternschaft für die Partnerin der gebärenden Frau, sofern ein Samenspendeverfahren nach Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz in Anspruch genommen wurde.
Bei einer privaten Spende kann der Vater seine Vaterschaft anerkennen und so rechtlicher Elternteil werden. Die Co-Mutter kann im Wege der Stiefkindadoption Elternteil werden. Es gibt in der Schweiz immer nur zwei rechtliche Elternteile. Hat das Kind zwei Mütter, kann der genetische Vater immerhin ein Besuchsrecht beantragen.
3. Das sagt die Ethikerin
«Es gibt kein Recht auf ein Kind»
Ruth Baumann Hölzle, Ethikerin und Institutsleiterin Stiftung Dialog Ethik.
wir eltern: Sollen gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen?
Ruth Baumann-Hölzle: Warum nicht, wenn sie sich lieben?
Sollen sie Kinder zeugen oder adoptieren dürfen?
Kinder sind für eine gute Entwicklung auf konstante, verlässliche und liebevolle Beziehungen angewiesen. Dies kann wie auch sonst in der Bevölkerung bei gleichgeschlechtlichen Paaren der Fall sein oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einsichtig, warum gleichgeschlechtliche Paare nicht Kinder zeugen sollen oder adoptieren dürfen.
Was sagen Sie zum Recht des Kindes auf Vater und Mutter, welches in der gleichgeschlechtlichen Elternschaft wegfallen würde?
Eine andere Frage ist diejenigen der Zeugung und damit der Anwendung der Reproduktionsmedizin. Grundsätzlich gibt es kein Recht auf ein Kind. Die Anwendung der Reproduktionsmedizin muss sich sowohl am Kindeswohl, aber auch am weiteren Betroffenen orientieren: Da die Samenspende kein körperlicher Eingriff in die Spenderintegrität darstellt, hat sie eine viel geringere Eingriffstiefe als diejenige der Eizellenspende und der Leihmutterschaft, sollte dies tatsächlich in der Schweiz Thema werden.
Mit Ausnahmen bieten Frauen die Eizellenspende und die Leihmutterschaft meist aus ökonomischen Gründen an. Sie sind vergleichbar mit der Prostitution. Hier stellt sich die Frage, wie weit die Freiheit zur Selbstschädigung gehen soll. Diese Diskussion ist vergleichbar mit derjenigen des Verkaufs von Organen. Wie weit soll die Ökonomisierung getrieben werden? Sollen Menschen auch ihre Körperteile verkaufen können?
4. Das sagt die Entwicklungspsychologin
«Diese Kinder sind toleranter»
Christine Neresheimer, Entwicklungspsychologin, Abteilungsleiterin PH Zürich
wir eltern: Bis zu 30 000 Kinder leben aktuell in Regenbogenfamilien. Wie entwickeln sie sich?
Christine Neresheimer: Studien zeigen, dass sich diese Kinder identisch wie Kinder in heterosexuellen oder Einelternfamilien entwickeln. Je nach Studie schneiden sie in gewissen Entwicklungsbereichen wie etwa dem Wortschatz oder der Sprachentwicklung sogar besser ab.
Könnte es für Kinder ein Nachteil sein, zwei Mütter oder zwei Väter zu haben?
Gemäss Studien ist es für Kinder oft mühsam, ihre Familiensituation in allen möglichen Lebenslagen erklären zu müssen, zum Beispiel in der Schule oder bei einem Arztbesuch. Sie geben an, deswegen etwas mehr stigmatisiert zu werden als ihre Peers.
Könnten Kinder in ihrer Entwicklung beeinflusst oder benachteiligt werden im Hinblick auf die Geschlechtsidentität, die sexuelle Orientierung oder das Geschlechterrollenverhalten?
Im Gegenteil. Viele Untersuchungen belegen, dass Kinder aus Regenbogenfamilien toleranter, offener und damit entspannter mit Diversität umgehen als ihre Peers. Wichtig ist, dass die Eltern – egal welcher sexueller Orientierung – mit den Themen Geschlechtsidentität und Geschlecht offen umgehen.
Die Meinung, dass Kinder von LGBTIQ*-Eltern eher auch schwul oder lesbisch werden, ist falsch. Die sexuelle Orientierung ist nach heutigem Wissen genetisch bedingt und kann nicht sozial erlernt werden. Kinder aus Regenbogenfamilien werden zu einem gleichen Prozentsatz anderssexuell wie Kinder aus heterosexuellen Familien.
5. Das sagt die Adoptionsfachfrau
«Wir müssten noch viel weiter gehen»
Karin Meierhofer, Geschäftsleiterin PACH Pflege- und Adoptivkinder Schweiz, Zürich
wir eltern: Hätten gleichgeschlechtliche Ehepaare in der Schweiz überhaupt eine Chance auf Adoption eines unbekannten Kindes, das in der Schweiz geboren wurde?
Karin Meierhofer: Rechtlich werden sie dieselben Chancen wie heterosexuelle Paare haben. Da in der deutschen Schweiz nur rund 10 bis 15 unbekannte Kinder pro Jahr zur Adoption freigegeben werden, sind die Chancen für eine Adoption für alle Paare aber sowieso gering.
Mit den heutigen Gesetzen können gleichgeschlechtliche Partner kein Kind gemeinsam adoptieren. Jedoch kann es ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau als Einzelpersonen – sofern sie nicht in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Das war bis heute einmal der Fall.
Wie sieht es aus bei Pflegekindern, würden Sie diese an gleichgeschlechtliche Paare vermitteln?
PACH selber vermittelt keine Pflegekinder. Wir setzen uns aber ein für Diversität bei den Pflegeeltern. So verschieden wie die Pflegekinder sind, so sollen sich auch die Pflegeeltern unterscheiden, um eine gute Passung für das spezifische Kind zu finden. Das heisst, auch gleichgeschlechtliche Pflegeeltern sind geeignet – sie brauchen wie alle anderen Pflegeeltern auch insbesondere Empathie und Verständnis für das Pflegekind.
Verbessert sich mit der Ehe für alle und dem Zugang zu Samenbanken für lesbische Ehepaare die Situation für Kinder in Regenbogenfamilien?
Sind die Mütter verheiratet, dann ja. Denn dann kommt das Kind mit zwei Elternteilen rechtlich abgesichert zur Welt. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird immer Frauen geben, die nicht heiraten wollen, egal ob lesbisch oder heterosexuell. Ihnen bleibt der Zugang zu Schweizer Samenbanken verwehrt.
Somit werden weiterhin von privaten Samenspendern Kinder gezeugt, denen als Folge ihr Recht auf das Wissen um die Herkunft genommen wird, wenn die Mutter die Angaben nicht bekanntgibt. Zudem sind diese Kinder bis zum Abschluss der Stiefkindsadoption in einer unsicheren rechtlichen Lage. Der Zugang zu Samenbanken müsste allen offenstehen.
Als Quereinsteigerin in den Journalismus schreibt Anita Zulauf erst für die «Berner Zeitung», die Migrationszeitung «Mix», nun bei «wir eltern» und als freie Journalistin bei dem Kulturmagazin «Ernst». Sie mag Porträts und Reportagen über Menschen-Leben und Themen zu Gesellschaft und Politik. Als Mutter von vier Kindern hat sie lernen müssen, dass nichts perfekt, aber vieles möglich ist.