Interview
Diese Mütter sind verzweifelt
«Früher harrten Frauen bis zum bitteren Ende aus. Deswegen waren sie nicht bessere Mütter», sagt Paartherapeut Klaus Heer.
wir eltern: Frauen, die Mann und Kinder verlassen, sind Rabenmütter. Das sagt die Gesellschaft. Und Sie?
Klaus Heer: Mit dieser gnadenlosen Verurteilung macht man es sich leicht. In Wirklichkeit hat man als Aussenstehender keinen Einblick ins Innere des Menschen, über den man so rüde den Stab bricht.
Nur wenige Frauen wagen diesen Schritt. Sind sie speziell hartherzig oder egoistisch?
Diese Frage ist moralisierend. Jede einzelne Geschichte zeigt, dass die Frauen nicht hartherzig, sondern besonders verzweifelt sind. Oder speziell lebensmutig.
Männer dürfen ihre Familie noch immer ohne Imageschaden verlassen.
Das stimmt nicht, nicht mehr. Ein solcher Schritt macht immer Aufruhr. Nicht zu leugnen ist, dass Männer noch immer deutlich weniger mit der Familie beschäftigt sind als ihre Frauen. Entsprechend weniger fällt es ins Auge, wenn sie sich eine eigene Wohnung nehmen.
Die porträtierte Frau hat ein enorm schlechtes Gewissen. Ist das frauenspezifisch?
Typisch weiblich war ja früher vor allem, dass Frauen bis zum bitteren Ende ausharren und sich selbst missachten. Zu sich selber stehen und gleichzeitig den Anforderungen der Beziehung gerecht werden, das ist manchmal ein grausames Dilemma. Dieser Klemme entkommt niemand ohne «schlechtes Gewissen».
Ist für Kinder eine räumliche Trennung von der Mutter schlimmer als die vom Vater?
Kinder stemmen sich gegen jede einschneidende Änderung in der Familie. Besonders natürlich, wenn sie mit einem Verlust an nährender Zuwendung einhergeht. Zieht nun derjenige Elternteil aus, von dem sie mehr bekommen haben, verstört sie das entsprechend stärker.
Was ist für Kinder wichtig?
Kinder sind darauf angewiesen, dass die Eltern ein paradoxes Kunststück zustande bringen. In dem schwierigen Moment, wo sie auseinandergehen, müssen sie solidarisch zusammenrücken in ihrer elterlichen Aufgabe. Die Kinder sollen erleben, dass sich Mutter und Vater um sie kümmern wie eh und je. Einzeln und gemeinsam.
Männer müssen als Alleinerziehende oft Vorurteile aushalten: Ist es für Männer generell schwieriger, alleinerziehend zu sein?
Nein, sie können das genauso gut wie Frauen. Allerdings nur, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Männer müssen sich die notwendige Zeit für ihre Vateraufgabe freischaufeln. Bisher gelingt das ja nur ungefähr zehn Prozent der Männer.
Und die zweite Voraussetzung?
Ein Mann ist zweitens in der Lage, vollgültiger Vater zu sein, wenn seine Partnerin ihn machen lässt. In vielen Familien herrscht heute aber faktisches Matriarchat. Vor und nach der Trennung der Eltern.
Spricht nicht auch die Gesellschaft den Vätern die nötigen Kompetenzen ab?
Wir wollen nicht jammern. Männer kommen ja erst seit einigen Jahren langsam aus dem Busch und profilieren sich als Väter. Vermutlich wird dieser Prozess noch Jahrzehnte dauern. Aber viele Männer lieben es, sich im Gegenwind zu bewähren. Auch als Väter.
Finden Sie es gut, wenn auch Frauen den Schritt weg von der Familie machen? Würden Sie dazu raten?
Niemals! Niemand hat das Recht und die Kompetenz, es besser zu wissen als die betroffene Frau. Eine fähige Fachperson wird den Entscheidungsprozess der Frau sorgfältig begleiten, ohne ihn zu beeinflussen.