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Das Geheimnis der Liebe

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Manchmal, und in letzter Zeit nicht nur manchmal, schauen mich Leute an, als würde ich um ein Geheimnis wissen, das ihnen verborgen ist. Dann drucksen sie erst ein bisschen rum, bis sie schliesslich herausbringen:
«Wie macht ihr das!?»
Früher hätte ich «Was denn?!» gefragt, heute weiss ich, worum es tatsächlich geht. Die eigentliche Frage lautet: «Warum liebt ihr euch noch?»
Es ist die Frage nach einem Beziehungsrezept, einer Formel, die zusammenfasst und ausdrückt, wie um alles in der Welt sich Menschen nach über zwei Jahrzehnten, vier Kindern, sechs Wohnungen und zahllosen gemeinsamen Stunden noch gut finden können. Ich habe leider keine Antwort auf diese Frage. Es gibt kein Rezept. Kein übertragbares Koordinatensystem, das bei allen in gleicher Weise funktioniert und ein stetiges Gefühl von Liebe und Gemeinschaft erzeugt.
Es gibt nur die unendliche Vielfalt der Menschen und ihr unstillbares Verlangen, verstanden, erkannt und wertgeschätzt zu werden. Die Sehnsucht danach, ihre existenzielle Vereinzelung im und mit einem Gegenüber zu überwinden. Dafür gibt es keine Blaupausen. Jeder und jede ist eigen und einzig mit sich selbst allein. Deshalb ist auch jeder Versuch, gemeinsam zu sein, ein Unikat. Ich weiss also nur, was Liebe für mich ist.
Liebe ist ein Mädchen mit baumelnden Beinen, das ich ungläubig anstarre, weil es binnen eines Herzschlags mein Zuhause ist.
Liebe ist der Muskelkater, den ich habe, weil ich ihr unbedingt beweisen will, dass ich auch Skifahren kann und mich deshalb völlig dummdreist jeden Berg herunterstürze.
Liebe ist ein beschissener Streit, von dem man rückblickend sagt, dass er die Beziehung verbessert hat. Liebe ist eine Busfahrt durch die Dunkelheit, in der ich die ganze Nacht Lieder für sie singe, von denen man nicht wusste, dass ich sie beherrscht.
Liebe ist der Widerstand gegen die Versuchung, das Gesagte und Getane irgendwann zur eigenen Aufwertung nicht mehr zu ihren Gunsten auszulegen, sondern gegen sie zu verwenden.
Liebe ist eine verschwitzte Frau, die unter der Entbindung dreckige Witze reisst.
Ich habe keine Antwort auf die Frage, «wie man das macht». Ich weiss nicht, wie das funktionieren soll. Aber ich weiss, was Liebe ist.
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.