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Wenn Mütter die Gewissenskeule schwingen
Von Bloggerin Nathalie Sassine-Hauptmann

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Wer kennt das nicht? Wir bitten unseren Nachwuchs um etwas, das uns ziemlich selbstverständlich erscheint (bspw. Bei 5°C eine Winterjacke anzuziehen, statt des Kurzarm-T-Shirts) und das Kind kommt dir frech. Gaht's no? Denke ich mir und mache ihn darauf aufmerksam, dass er so nicht mit mir zu reden hat. Soweit, so altbekannt und nicht dramatisch.
Eine englische Mutter sah das aber gar nicht so und publizierte letzte Woche im Guardian A letter to … My 10-year-old son, who needs to hear a few home truths
(Einen Biref an meinen 10-jährigen, der ein paar Heim-Wahrheiten hören muss). Und ja, er liest sich genau wie befürchtet. Ein paar Auszüge gefällig?
Ich habe dich 42 Wochen lang (aus-)getragen. Ich habe die letzten drei Wochen nicht mehr geschlafen und mir war die ersten drei Monate schlecht. Zwischendurch wurde ich so fett, dass ich jede Chance verlor, in einem Bikini je wieder gut auszusehen. Es machte mir aber nichts aus, ich hatte ja dich.
In jeder Phase deines Lebens habe ich dir geholfen. Ich half dir, aufrecht zu sitzen, zu laufen und feste Nahrung zu dir zu nehmen. Ich verbrachte Stunden damit, dir Brei zu machen. Ich brachte dir bei, wie man auf die Toilette geht und verbrachte Jahre damit, Hosen zu waschen, die du dennoch vollgepinkelt hattest. Es machte mir aber nichts aus, ich schaute dir ja beim Wachsen zu.
Ich helfe dir, wenn du eine Prüfung hast, indem ich dich ermutige, zu lernen und dir anbiete, dich abzufragen. Ich helfe dir, Ziele zu setzen und zu verstehen, was du tun kannst, wenn es nicht so gut läuft, obwohl du dann meist mir gegenüber ausflippst. Es macht mir nichts aus, denn ich will ja, dass du eine gute Ausbildung bekommst und lernst, Probleme zu lösen.
Und so weiter und so fort. Der Brief ist eine einzige Auflistung der mütterlichen Heldentaten, die diese Dame offenbar die letzten zehn Jahre geleistet hat. Heldentaten? Oder einfach Dinge, die der Job mit sich bringt? Oder anders gesagt: Ist das nicht unser aller verdammter Job? Auch der Väter?
Hebt eine solche Liste nicht die gesamte Hilfestellung, derer sich die Mutter so rühmt, komplett wieder auf? Schliesslich hat er nicht darum gebeten, nach 42 Wochen aus ihr rausgepresst zu werden und all die anderen Dinge sind ebenfalls nicht auf seinem Mist gewachsen.
Zynisch ist besonders ihr letzter Abschnitt: «Ich erwarte und möchte nicht, dass du dich jetzt schuldig fühlst...»
Deshalb habe ich ein paar Fragen an die Dame (und alle anderen Mütter, welche heimlich solche mentalen Listen führen):
Wo war der Vater, hat der GAR NICHTS getan?
Was ist an dieser Liste so speziell, was andere Mütter und Väter NICHT für Ihre Kinder tun?
Glaubt sie wirklich, sie hätten dadurch ein besseres Verhältnis? Ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass er möglichst bald abhaut und den Kontakt auf ein Minimum beschränkt?
Kein schlechtes Gewissen? Was denn sonst?
Ich rege mich über diese Zeilen so auf, weil ich sie nicht als Hirngespinnst abtun kann, da ich selber solche Mütter kenne. Und irgendwer muss es ihnen ja sagen, oder?
Was meint ihr? Darf / soll eine Mutter eine solche Liste führen? Oder gehört es auch zum Job, freche Antworten entgegenzunehmen?

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Nathalie Sassine-Hauptmann (1973) gehört zu den Müttern, die ihr schlechtes Gewissen wie ein Baby mit sich rumtragen. Dennoch würde sie ihren Beruf nie aufgeben. Mit ihrem Buch «Rabenmutter - die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein» spricht sie vielen berufstätigen Müttern aus der Seele. Denn als Unternehmerin weiss sie, dass ihre Kinder sie zwar glücklich machen, aber erst ihr Job ihr den Ausgleich garantiert, den sie braucht. Sie führt sowohl ihr Familienleben als auch ihre Firma mit viel Leidenschaft und macht sich in diesem Blog Gedanken zur Vereinbarkeit von beidem. Und sie hat keine Angst davor, sich eine Feministin zu schimpfen. Alle Blog-Beiträge von Nathalie Sassine-Hauptmann finden Sie hier.