Vatersein
Bin ich ein moderner Vater?
Von Till Hein
Väter engagieren sich heute stärker in der Familie als die frühere Väter-Generation. Unser Autor findet, er mache das auch recht gut, wenn nur die Kinder nicht wären.Familie
Als ich klein war, bewunderte ich meinen Vater. Er trug knallbunte Gilets, unterrichtete Gitarre und schwärmte für die Beatles. Mein Papi kaufte mir Winnetou-Schallplatten, las mir lustige Bücher vor, und wir spielten mit Küchenbrettli und Luftballons im Wohnzimmer Tennis. Toll!
Leider sah ich meinen Vater aber nicht sehr oft: Als ich sechs war, zog er mit einer neuen Frau 1000 Kilometer weit weg – und liess mich und meine kleine Schwester in Basel bei meiner Mutter zurück. «Ich konnte nicht anders», beteuerte er, wenn er uns alle Schaltjahre besuchen kam. Das gemeinsame Familienleben sei nicht mehr zu ertragen gewesen. Ganz schön egoistisch, finde ich das heute. Das Erstaunliche: Ich verstehe mich mit meinem Vater trotzdem gut. Ich dachte nie, dass ich selbst einmal Vater werden würde oder sollte. Aber falls es doch dazu käme, wollte ich diese Herausforderung auf ähnliche Weise zu meistern versuchen, wie mein Vater damals: Den Kindern Humor und Freude am Leben vermitteln, ehrlich sein und nicht irgendwelche doofen Rollenklischees vorleben. Aber – anders als mein Papi – auch nicht vorzeitig den Abgang machen.
Inzwischen haben meine Freundin und ich sogar zwei Kinder bekommen – genau wie meine Eltern damals. Scheint ein Klassiker zu sein. Und die Vaterrolle? Einige meiner Ideale habe ich tatsächlich umgesetzt: Ich verheimliche es unseren Jungs zum Beispiel nicht, dass ich weniger Geld verdiene als ihre Mutter. Sie sollen ruhig sehen: Frauen gehören nicht einfach an Herd und Wickeltisch, und Männer auf die Jagd und ins Geschäftsleben. Das wäre ja noch schöner. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter!
Eine gewisse progressive Grundhaltung scheint inzwischen jedoch zum Glück normal zu sein, zumindest in unserem Bekanntenkreis: Dass Kinderbetreuung Frauensache sei oder man als Vater keine Gefühle zeigen dürfe, kann doch niemand mehr ernsthaft behaupten, oder? Ich jedenfalls verbringe viel Zeit mit den Jungs. Ich sage es meinen Söhnen, wenn ich sauer oder frustriert bin.
Überhaupt bin ich kein Macker-Vater: Beim Znacht bekomme ich nicht die grösste Portion. Eher im Gegenteil. Und es ist auch nicht so, dass ich zu Hause für die Internet- und Technik-Sachen zuständig wäre. Ich lasse meiner Freundin da den Vortritt. Auch die Oberaufsicht über das Familienkonto liegt in ihren Händen. Und die Kinder haben nicht meinen Familiennamen, sondern denjenigen meiner Freundin. Schliesslich hat sie bei der Geburt mehr als ich geleistet, da ist das nichts als gerecht. So haben wir es den Jungs erklärt. Und es stimmt ja auch. Es wundert mich selbst, dass ich es trotzdem irgendwie schade finde, wohl ein gedankliches Überbleibsel aus dem Mittelalter.
Im Alltag bin ich vor allem für die Abfallentsorgung zuständig, für das Harassen-Schleppen und für das Wäscheaufhängen. Die restliche sogenannte Familienarbeit teilen wir paritätisch auf. Wobei meine Freundin insgesamt wohl ein kleines bisschen mehr macht als ich. Sie behauptet, das Verhältnis betrage 60 zu 40 Prozent. In Wirklichkeit sind es höchstens 55 zu 45 Prozent, da bin ich überzeugt. Es gibt Leute, die kritisieren, dass die Aufteilung auch bei letzterer Variante nicht ganz logisch wäre. Da meine Freundin ja offenbar mehr verdiene und grössere Verantwortung für die Familie übernehme, wäre es doch gerechter, wenn ich zumindest …
Ich wechsle dann meist schnell das Thema. Stattdessen hänge ich lieber die Wäsche auf. Dann ist zumindest etwas erledigt. Damit aber kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin nicht nur ein Mann der Tat, sondern interessiere mich auch dafür, was unsere Kinder emotional umtreibt.
Und mein eisernes Prinzip lautet: keine Gewalt. Schon weil ich die Menschheitsgeschichte kenne. Ich meine jetzt nicht nur die Kriege. Mein Vater zum Beispiel hat unter seinem Vater sehr gelitten. Wenn er etwas angestellt hatte, wurde er manchmal mit einem Gürtel ausgepeitscht. So etwas hat mein Vater mit mir nie gemacht. Und ich mache es mit meinen Söhnen natürlich auch nicht. Vielleicht also gibt es tatsächlich so etwas wie Fortschritt? Wahrscheinlich werden unsere Jungs nie eine Therapie brauchen, um ihre Kindheit aufzuarbeiten, sagen Freunde der Familie. Und tatsächlich scheinen mir meine beiden Buben weder verschüchtert noch komplex beladen zu sein.
«Du kannst doch nicht jeden Nachmittag immer nur Minecraft spielen», redete ich dem Grossen kürzlich ins Gewissen, nicht autoritär, sondern kollegial. «Als ich so alt war wie du, da hatten wir eine Rockband, der Hansi, der Flo und ich und … – «Papi», sagte der Zwölfjährige und verdrehte die Augen. «Du bist halt aus dem Mittelalter.»
Vielleicht, versuche ich mich manchmal aufzumuntern, würden mich meine Söhne ja auch bewundern, wenn ich weniger oft für sie da wäre. Abhauen werde ich deswegen aber ganz sicher nicht.
Mathias Botor
Till Hein (1969) ist freischaffender Wissenschaftsjournalist. Er hat zwei Söhne und kürzlich ein Sachbuch über Seepferdchen geschrieben. Das passt, denn dort tragen die Männchen die Babys aus: «Crazy Horse», Mareverlag, Fr.27.–