Als Langzeitpaar durchs Leben gehen? Passt! Findet unser Kolumnist Nils Pickert und verrät Neider* innen, wie das geht.
«Wie macht ihr das bloss? Nein, ernsthaft jetzt, was ist euer Geheimnis?!» Meine Lebenskomplizin und ich sind seit gut 26 Jahren ein Paar, seit bald 17 Eltern und haben mittlerweile 4 Kinder. Und seit ungefähr 10 Jahren fällt mir vermehrt auf, dass uns andere Elternpaare fragen, wie wir das alles hinbekommen. Ich will es Ihnen hier verraten. Sie buchen sich rund um Ihren Jahrestag romantisch in ein kleines Hotel ein. Die Oma betreut so lange die Kinder. Sie hat zwar ein bisschen Schnupfen, freut sich aber schon seit Monaten auf den Besuch. Ausserdem lässt sich das Hotel nicht mehr kostenfrei stornieren und die 6 Wochen, die Ihre Kinder anschliessend nacheinander Erkältungsstaffette spielen, kosten Sie gefühlt nur 5 Lebensjahre.
Das Hotel ist wunderschön am Ostseestrand gelegen, direkt hinter einer malerischen Baustelle, die Ihnen bei der Buchung gar nicht aufgefallen ist, weil sie mit keinem Wort erwähnt wurde. Zum Glück ist es auch gar nicht so langweilig ruhig, wie sie dachten, weil sich das Team der RTL2 Sendung «Zuhause im Glück» zufällig einquartiert hat, um ein Haus im Ort zu sanieren und zu verschönern. Auf dem Weg in Ihr Zimmer summen Sie den Alanis Morissette Hit «Ironic». Im Zimmer angekommen überlegen Sie, ob Sie jetzt Sex haben wollen sollten. Sie sind verwirrt, ob der Möglichkeit sich am helllichten Tag nackt sehen zu können.
Vor Verlegenheit testen Sie aus Gewohnheit, wie viel Platz sie beide hätten, um übereinander herzufallen, wenn einer dabei mit dem Fuss die Tür zuhält und die andere «Ich bin gleich da!» ruft. Anschliessend entscheiden Sie sich doch für das Bett. Meine Güte, sehen Sie beide gut aus. Alleine dafür hat sich der Ausflug schon gelohnt. Leider fällt der Spaziergang zum Pier danach aus, weil Sie beide spontan eine Rate Ihres beträchtlichen Übermüdungskredits bedienen und 2 Stunden später in der Dämmerung auf besabberten Kopfkissen erwachen.
Nach einer gemeinsamen Dusche (Merken Sie sich diesen Ort!) bei der Sie feststellen, dass Ihre «Wenn wir Zeit und keine Kinder hätten, würden wir 1,4 Millionen Mal am Tag vögeln»-Hypothese offensichtlich nicht der Realität entspricht, suchen Sie das hoteleigene Restaurant zum Abendessen auf. Die zahlreichen Fleisch- und Fischvariationen klingen zwar alle sehr schmackhaft, aber der Vegetarier von Ihnen beiden wird trotzdem nicht so recht warm mit dem Angebot. Aber es hat ja einen Italiener im Ort, bei dem es zumindest ein Nudelgericht mit Irgendwassauce ohne Fleisch gibt und mittelmässiges Slowfood wollten Sie schon immer mal probieren.
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Der Verdauungsspaziergang zurück zum Hotel ist dann zwar romantisch, erschüttert ihr Innerstes jedoch nicht so sehr wie Ihre spätere retroperistaltische Vomitation. Aber Sie werden die Nacht schon irgendwie überstehen, denken Sie, während sich eine von Ihnen so heftig über der Toilette auskotzt, dass sie zwischendurch darauf einschläft, und der andere von der Wucht seiner Erbrechungsmassnahmen so geschüttelt wird, dass er die Tür von besagter Dusche herausreisst.
Am nächsten Morgen brechen Sie den Trip vorzeitig ab, winken noch dem «Zuhause im Glück»-Team und werden ein paar Stunden später daheim mit einem gehusteten «Wie, ihr seid schon zurück?» begrüsst. Was? Ach ja, das Geheimnis. Nun, wenn meine Lebenskomplizin und ich auf die so seltenen Auszeiten als Paar angewiesen wären, dann hätten wir längst verloren. Dann hätten wir uns unbedingt in diesem Hotel als Liebende jenseits unserer kräfteraubenden Elternschaft wiederfinden müssen.
Stattdessen sind wir ein Elternliebespaar. Wir finden unsere Liebe in Alltäglichkeiten und suchen sie nicht in grossen Gesten. Wir verabreden uns zum Gegenseitig-gut-Finden allabendlich beim Putzen der grindigen Küche und nicht einmal im Jahr beim Urlaub. Das heisst nicht, dass wir nicht ab und an versuchen, gemeinsame Liebesfluchten zu realisieren. Aber grundsätzlich haben wir uns für den Beziehungsmindestlohn entschieden und nicht für den Jahresliebesbonus.
Wir sind zu Hause im «Anstrengend, aber eigentlich ganz cool».