Erziehung / Bindung
Anfallende Ablösung 1
Erkennen: Da ist ein Fötus. Und da ist eine Frau. Eine Mutter mit Verantwortung: ja. Mit Allmacht: nein.
Erziehung / Bindung
Erkennen: Da ist ein Fötus. Und da ist eine Frau. Eine Mutter mit Verantwortung: ja. Mit Allmacht: nein.
Geatmet, gepresst, geboren: Zeit für die erste, physische Ablösung. Katzenmütter beissen jetzt die Nabelschnur durch. Kühen reisst sie unter der Geburt, Stuten beim postnatalen Aufstehen, und Affenweibchen zerreissen eigenhändig die Nabelschnur, sobald das Kind draussen ist. Das muss auch so sein, erklärt Ulrich Beul vom Tierspital Zürich in der «Weltwoche»: «Denn bei Säugetieren kommt die Plazenta erst dann heraus, wenn die Nabelschnur durchtrennt ist.» Allein der Mensch stellt die Frage: Wann ist der ideale Zeitpunkt zum Abnabeln? Sofort zur Schere greifen? Oder doch länger zuwarten? Immerhin, so haben Forscher der Universität Uppsala festgestellt, hat ein erst nach drei Minuten abgenabelter Säugling vier Monate später deutlich höhere Eisenwerte im Blut als ein Baby, dessen Nabelschnur umgehend durchtrennt wurde. Oder ist die «Lotus-Geburt» das Beste? Bei der nämlich wird vorerst ganz auf den Schnitt verzichtet, das Baby bleibt drei bis zehn Tage mit der Plazenta verbunden – so lange, bis die Nabelschnur von selbst wegtrocknet. Der Mutterkuchen wird – in etwa wie Lammkeule provençale – gewaschen, gesalzen und mit Kräutern eingerieben. Anschliessend begleitet er, verpackt in ein Tüchlein, das Baby in Wiege, Tragetuch und Kinderwagen. Die Pharaonen sollen Fans der Lotus-Geburt gewesen sein. Schweizer Kliniken sind das nicht. Schon wegen der Keime. Hier darf manchmal noch die Nabelschnur auspulsieren, aber dann: cut! Ein kleiner Schnitt für die Väter, ein grosser Schnitt für die Mutter.
84 840 Kinder wurden 2015 in der Schweiz geboren. In 15 Prozent der Fälle macht das die Mutter ausser glücklich auch massiv traurig, so Zahlen des «Vereins Postnatale Depression ». Schliesslich geht zum ersten Mal zwischen Mutter und Baby etwas unwiderruflich zu Ende. Die selbstverständliche Gemeinsamkeit ist vorbei, fortan ist da jetzt drückende Verantwortung und ein eigenes Wesen: mit Hunger, mit Müdigkeit, mit Windeln, die bis zum Überflüssigwerden durchschnittlich 4500 Mal pro Kind gewechselt werden müssen. Und da ist die Frage: Was eigentlich bin ich künftig selbst? Noch die Frau von früher? Und – wie geht Muttersein?
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