Monatsgespräch
Wolf Erlbruch: Welterfolg mit Bilderbüchern
Von Antje Ehmann
Wolf Erlbruchs Illustrationen kennen Kinder und Eltern auf der ganzen Welt. Der preisgekrönte Bilderbuchzeichner spricht über Tabus, Empathie, zerschnittene Texte und die Wachsamkeit von Kindern.
wir eltern: Herr Erlbruch, Sie haben über 50 Bilderbücher und Kalender für Kinder illustriert, was reizt Sie daran?
Wolf Erlbruch: An der Arbeit für Kinder reizt mich vor allem deren Wachsamkeit. Deshalb versuche ich beim Illustrieren möglichst alles zu vermeiden, was ihnen eine spezielle Kinderwelt verspricht. Die gibt es nämlich nur in der Vorstellung der Erwachsenen. Kinder leben so wunderbar positiv im sogenannten Hier und Jetzt und sind unerschütterlich in ihrem vitalen Zugriff auf die Gegenwart.
Ihr Werk umfasst Themen wie Sinn des
Lebens oder Tod und zeugt von grosser
Menschenkenntnis. Wie gehen Sie an ein
neues Thema, ein neues Bilderbuch heran?
Jeder Text hat seine bestimmten Farben und
seine Musik. Es heisst also gut hinzuhören,
dann kommen die Bilder ganz langsam zu
mir. Wenn ich ein Buchprojekt angehe, ist
es immer völlig neu, wie wenn ich nie gezeichnet
hätte. «Am Anfang» (2003) etwa
gefällt mir heute noch gut. Der Autor Bart
Moyaert ist ein grossartiger, ehrlicher
Künstler. Seinen Text habe ich in ganz
kleine Stücke geschnitten, meist einzelne
Sätze. Zu diesen habe ich dann Illustrationen
entwickelt. So funktioniert meine Methode.
Der Text ist immer die Basis.
Was machen Sie, wenn es Stolpersteine gibt?
In der Tat gibt es auch Texte, die den armen
Zeichner an der Nase herum führen, und
die sich erst nach einer qualvoll langen Zeit
in ihrer Gänze zeigen. Dabei ist das jeweilige
Ergebnis völlig subjektiv und das ist
auch gut so. Gäbe es hier die sogenannte
Objektivität, wäre alles verdorben.
Die Figuren, die Ihre gestalterischen Welten
prägen, sind unverkennbar. Wie haben Sie
ihren Stil entwickelt?
Als ich noch nicht viel über das Kinderbuchmachen
wusste, habe ich an die Wichtigkeit
eines bestimmten Stils geglaubt.
Heute glaube ich ans Gegenteil. Der Stil ist
nur eine Art Markenzeichen des Zeichners,
kann aber auch lähmend langweilig sein,
weil er eben alles über den Kamm seiner
selbst schert. Heute gehe ich vom Gefühl
für die Texte aus. Wie die Figuren und die
Bildkomposition dann irgendwann aussehen,
ist das Ergebnis einer langen Kette
fortwährenden Assoziierens. Die Kraft des
Zufalls, der mir manchmal ein Material in
die Hände spielt, in dem ich augenblicklich
alles erkenne, was ich brauche, ist auch
nicht zu unterschätzen. Nur auf den Zufall
ist Verlass.
«Ente, Tod und Tulpe», eine Geschichte über den Tod, ist durch einen solchen Zufall entstanden, nicht wahr?
Ja, ich habe damals traumverloren eine Ente auf ein Stück Papier gemalt. Dann ist noch ein Totenkopf und danach eine Tulpe gewachsen. Dann dachte ich nur, huch, was habe ich denn da gemacht. Zunächst wurde es ein Lesezeichen für eine Freundin und
später dachte ich, das klingt ja wie Albrecht
Dürers «Ritter, Tod und Teufel». Von da ab
begann ich in diese Richtung zu denken.
Wann und wo haben Sie sonst
die besten Ideen?
Das kann ich ganz eindeutig sagen – in der
Bewegung. Beim Herumstreunen in meiner
Heimatstadt Wuppertal, beim Radfahren
über die hiesigen, gar nicht so leichten Berge.
Wenn ich aber anfange zu zeichnen – dann
ist meine Werkstatt der beste Ort für mich.
Ihr berühmtestes Bilderbuch ist «Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat». Wie kam es dazu
Ich kannte den Autor Werner Holzwarth aus
der Werbung. Bevor ich zum Kinderbuch
kam, habe ich 15 Jahre in diesem Metier gezeichnet.
Er zeigte mir diesen simplen, aber
tabubrechenden Text, und ich war sofort sehr
davon angetan. Wir haben dann gemeinsam
etwas für die Ausarbeitung des Hauptcharakters
getan, die kleinen Beschreibungen der
unterschiedlichen Fäkalien ergänzt und dann
ging es los. Der Peter Hammer Verlag war
zunächst zögerlich, hat sich aber dann im
letzten Moment, bevor die Verlagsvorschau
gedruckt wurde, doch dafür entschieden.
Hatten Sie damals schon ein Gefühl dafür,
was mit diesem Buch passieren könnte?
Ja, mir war klar, dass dieses Buch entweder
ein Total-Flop werden würde oder ein wirklicher
Renner. Aber ich war optimistisch.
Dieser Optimismus hat sich dann wohl
auch in den Bildern niedergeschlagen. Es
dauerte noch ein paar Monate, bis sich die
Buchhändler auch getraut haben, das Buch
zu empfehlen. Ein bisschen stolz macht mich, dass dies ein Bilderbuch ist, das sich
einzig und allein durch härtestes Quengeln
der Kinder zu einem wahren Welterfolg
entwickelt hat. Es ist inzwischen in über
35 Sprachen übersetzt worden, und es kommen
immer wieder neue hinzu.
Neben Ihrer Arbeit als Illustrator haben
Sie viele Jahre als Professor gearbeitet. Was
hat Ihnen an der Universität gefallen?
Das Beste an der Hochschulzeit war das
Zusammensein mit den jungen Menschen.
Mit ihnen zu reden und zu lachen. Auch
wenn die Studentinnen und Studenten des
Öfteren kaum wesentliches Talent hatten,
brachten sie die spezifischen Eigenschaften
der Jugend mit in die manchmal irrwitzig
bürokratisierten Abläufe innerhalb der
Universität. Und es hat mir immer gut gefallen,
wenn im Winter alle rote Wangen
hatten. Da sieht man die Lebendigkeit und
das ist etwas Wunderbares.
Zeichnen Sie Ihre Bücher mit einer Zielgruppe im Kopf, etwa vom Alter her?
Kategorisieren ist in meinen Augen eine lästige Eigenschaft. Zum einen sind Kinder sehr verschieden. Schon sehr früh sind sie äusserst ausgeprägte Charaktere, die ganz eigene Interessen haben. Zum anderen laufen sie auch in ihrer Entwicklung
nicht alle gleichzeitig über die Ziellinie. Meine Bücher sind so von mir gedacht, dass sie Kinder und Eltern gleichermassen zum Denken anregen, und dass man beim
darüber Sprechen herausfinden kann, welches Alter die Vierjährige, der man da vorliest, eigentlich hat. Also, liebe Eltern, hört mehr auf eure Kinder, dann nehmen sie euch auch ernst und hören auf euch!
Eines meiner Lieblingsbücher von Ihnen ist «Frau Meier, die Amsel». Wie kam es denn dazu?
Frau Mair – so die richtige Schreibweise ihres Namens – wohnte in der Nachbarschaft und war in der Tat immer sehr besorgt. Eines Tages sahen wir, wie sie versuchte, auf dem Küchentisch ein noch nicht flügges Amseljunges zu füttern. Die Kinder,
denen die Geschichte geläufig war, nannten ihre übervorsichtigen Eltern stets Frau oder Herr Mair, vielleicht hatten Väter damit mehr Schwierigkeiten als Mütter. Das Buch war beliebt, vor allem wohl, weil es Eltern und Kinder anregte, miteinander Amseln zu füttern und Flugversuche anzustellen, aber genau weiss man sowas nie.
In Ihrem Werk ist eine grosse Empathie
spürbar.
Empathie kann man nie genug haben. Ich habe seit einiger Zeit den Eindruck, dass diese Fähigkeit etwas flöten geht. Es sind keine einfachen Zeiten – gerade in politischer Hinsicht. Meiner Meinung nach weiss Donald Trump nicht, was er alles anrichtet.
Was bedeuten Ihnen all die Preise, die Sie im Laufe Ihres Lebens bekommen haben – zuletzt die höchstdotierte internationale Auszeichnung im Bereich der Kinderliteratur, den Astrid Lindgren Memorial Award?
Der Mensch freut sich, aber ich werde nicht gern auf Sockel gehoben, auch wenn es nur
für einen Moment ist. Ich habe rund um die Preisverleihung am 29. Mai 2017 in Stockholm eine ganze Woche in Schweden verbracht bei 30 Grad Celsius und ungefähr 300 schwedische Schulkinder mit Handschlag begrüsst. Ich fand sie ausgesprochen nett und zutraulich. Auch die Lehrer und Lehrerinnen haben viel Wärme ausgestrahlt. Mit dem Urenkel von Astrid Lindgren hatte ich ein mehrstündiges, sehr schönes Gespräch. Ich sehe all die Preise am ehesten als Kommunikatoren meiner Selbstzweifel an, nicht als Ausräumer derselben.
Wie waren Sie als Vater Ihrem Sohn gegenüber und wie erinnern Sie sich heute als
zweifacher Opa an Ihre eigene Kindheit?
Meinem Sohn gegenüber habe ich mich schon ähnlich verhalten, wie ich es in meiner Kindheit erfahren habe. Meine Eltern waren freundliche Leute, wir haben viel erzählt und hatten viel Spass miteinander. Und wenn es Konflikte gab, konnten wir immer darüber reden. So war das mit Leonard auch. Und manchmal wurde geweint, auch das gehört dazu. Ich habe schon mit zwei Jahren immer gezeichnet, so wie man spielt. Entweder habe ich gezeichnet oder geguckt. Und bei Leonard war es ähnlich.
Françoise Saur
Wolf Erlbruch (1948) studierte Grafik-Design und arbeitet seit Ende der 1980er-Jahre im Kinderbuchbereich. Von seinem bekanntesten Werk «Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat» wurden weltweit drei Millionen Exemplare verkauft. Insgesamt hat
er über 50 Bilderbücher und Kalender veröffentlicht und wurde mehrfach ausgezeichnet. 2003 hat er den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk erhalten, 2017 wurde er mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet.Erlbruch lebt mit seiner Frau in Wuppertal. Er hat einen erwachsenen Sohn Leonard und zwei Enkelkinder. Seine Werke sind u. a. im Peter Hammer Verlag und bei Hanser erschienen.