
Gordon Koelmel
Leben
Depressionen: Ich hatte alles, und war am Ende
Von Sebastian Keck
Er hatte Karriere, Familie, Status – doch dann kam der Zusammenbruch. Sebastian Keck erzählt von seinen Tiefpunkten und dem Weg zurück ins Leben.
Auf einem Pferd im gestreckten Galopp. Das war mein Leben, bevor ich mit vierzig Jahren zusammenbrach. Kurz vor dem nächsten Hindernis stürzte ich ab. Das Pferd lief weiter, konnte aber wieder eingefangen werden. Der Reiter wurde mit mittelschweren Verletzungen in das Krankenhaus eingeliefert.
In Stücke geschlagen. Nadelblicke auf der Haut und unter Haifischen bluten. Den Schmerz konnte ich noch nicht einmal ordentlich ausbuchstabieren. Ich sah etwas giftgelb aus und leicht angegraut, ausgefranst, und gewellt lag ich da, mit dem Tabletten-Blister in der Hand. Ob dieser Scheiss wirkt, weiss man eh erst in acht Wochen. Das geübte In-sich-Hineinfressen ging nicht mehr, kein Betäubungsmittel mehr weit und breit.
Mich überfiel die Panik wie ein Dieb. Angst angeknipst, Augen rot geweint, der Glühfaden dieser Scheiss-Werbetafel war unkaputtbar.
Alles richtig gemacht?
Dabei hatte ich doch alles richtig gemacht: um die Welt reisen, Karriere machen, Kind bekommen, gutes Einkommen, grosser Freundeskreis, schöne Frau, teure Hochzeit. Von aussen betrachtet, von weit weggesehen, führte ich ein grossartiges, erfolgreiches Leben, auf das ich sicherlich stolz sein konnte. Doch der Schein trog, sorgenfrei war ganz woanders, denn nachts hielt mich die Panik vom Schlafen ab. Ich plante stundenlang Projekte im Halbschlaf, führte fiktive Gespräche in der Agentur, trug nachts Konflikte aus. Zum Schluss schlief ich nicht mehr vor drei Uhr morgens ein. Ich war tagsüber völlig gerädert und gereizt und soff stets Zwölferpacks Energydrinks. Die letzten paar Jahre versuchte ich es noch mit Betäubung, mehr Gras, mehr Alkohol.
Irgendwann wurde es mir einfach zu viel, ständig der Beste sein zu müssen, immer den Starken zu spielen, den Sonnenschein-Typen, den scheinbar nichts gross juckte, den Party-Löwen, der für ausgelassene Stimmung sorgte. Andererseits wusste ich nicht, wie ich damit aufhören sollte von jetzt auf gleich, bis ich irgendwann einfach zusammenklappte. Es folgten in immer kürzeren Abständen diese Panikattacken. Immer, überall, morgens, mittags, abends, nachts, im Zug, im Auto, auf dem Klo, bei der Arbeit, im Club, sonntags am Familientisch, in der Fussgängerzone, im Bett, beim Schlafen. Meine Familie und Freunde empfahlen mir, umgehend eine Therapie zu machen, die ich dann auch begann. Bloss, als der Therapeut auch nicht mehr weiterwusste und für drei Wochen in den Urlaub nach Kuba flog, war ich dazu gezwungen, stationär eine Klinik zu besuchen. Aus drei Wochen wurden sechs lange Monate. Die Kluft zwischen meiner äusseren Persönlichkeit, dem obercoolen Werbemanager und Superdaddy, und meinem inneren Ich, dem sensiblen, ängstlichen und nervösen Jungen, war so gross geworden, dass ich darin komplett verschwand. Hokuspokus. Dass ich einen Zusammenbruch erlitten hatte, mein Leben nicht mehr in den Griff bekam, machte mich in meinen Augen zum Versager. Der Klinikaufenthalt zu einem Irren.
Mir wurde klar, dass von nun an alles anders sein würde. Aber wie sehr, das war mir noch nicht bewusst. Ich stand in der Blüte meines Lebens, ich hatte alles getan, was von mir erwartet wurde, und jetzt sass ich hoffnungslos gescheitert und gedemütigt und ohne Selbstbewusstsein da. Was nun? Wie sollte es weitergehen? Fand ich einen Wegweiser zu einem gesünderen Leben? Neuorientierung. Das Leben schien mir so karg und grau wie ein kalter Winter. Alles war Verlust und Untergang. Erschöpfungszustände. Eine Depression folgte, schwängerte die Angststörung. Schweissgebadet wach liegen. Die Stille der Klinik bot mir die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie ich in diesem Niemandsland gestrandet war. Was war schiefgelaufen? Wo genau war ich auf einer Sandbank gestrandet? War ich wirklich so glücklich gewesen, wie ich geglaubt hatte? War meine Ehe kaputt? Könnte das Leben auch etwas anderes sein als diese eine schnurgerade Strasse, auf der man Meilensteine abhakt?

Sebastian Keck, 47, ist Geschäftsführer einer Werbeagentur in Stuttgart. Nach einem Burn-out und Depressionen fand er durch seine 2017 geborene Tochter zurück ins Leben. In seinem Buch «Der Coach aus dem Kinderzimmer: Wie ich durch meine Tochter lernte, die Angst zu verlieren und im Moment zu leben» erzählt er offen, humorvoll und einfühlsam, wie ihn die alltäglichen Momente mit seiner Tochter zurück zur Lebensfreude führten.
Patmos Verlag 2025, 160 Seiten, Fr.28.–
Auf der Suche nach der Identität
Mir wurde im Lauf der Therapie klar, dass ich gar nicht mehr so sein wollte wie früher. Nicht mehr konnte. Nicht mehr durfte, sonst würde ich wieder an diesen schmerzlichen Punkt kommen, der die grösste Krise meines Lebens auslöste. Ich wollte einen neuen Weg einschlagen. Es war eine grosse Erleichterung, dafür nicht sofort einen wasserdichten Mehrjahresplan auf den Tisch legen zu müssen. Mir ständig neue Fragen zu stellen und diese wichtig zu nehmen, war der erste und bedeutsamste Schritt zu einem anderen Leben. Er gab mir meine Neugier zurück, dieses kindliche Probieren und damit das Gefühl, dass endlich wieder der Frühling anbrach. Ich wusste, ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr, wer ich war. Jetzt, da ich nicht mehr arbeiten konnte und Partys mied, stellte ich meine gesamte Identität infrage. Ich wollte zurückkehren zu jener Person, die ich schon immer war, aber die ich leider für nicht gut genug gehalten hatte. Diesen fast vergessenen Teil von mir wollte ich wiederhaben. Es war egal, dass kein Ruhm und Foto kein Geld damit verbunden waren. Der Rapper war erwürgt, der Party-Typ erhängt, der arrogante Werbefuzzi erschossen, der coole Superdaddy in Stücke zerfetzt, der gleichgültige Kiffer in der Badewanne erdrosselt.
Ich entdeckte die Natur wieder, machte stundenlange Spaziergänge, und je mehr ich wieder zu mir selbst fand, desto weniger hatte ich das Bedürfnis, mich zu vergleichen oder zu beweisen. Das war eine unheimliche Erleichterung. Bei mir hatte das Ego oft das Kommando, denn das schrie nun mal am lautesten. Und da ich die sanftere Stimme meiner Seele nicht mehr hörte, kam ich von meinem Weg ab.
Die Seele, so wie ich sie sehe, ist schüchtern, weise und sensibel. Um sie entdecken zu können, muss man still und geduldig sein. Eine Krise, eine Depression, ein Burn-out, eine Angststörung, nennt es, wie ihr wollt, ich brauche dafür schon lange kein Etikett mehr, erleidet man nicht ohne Grund. Man könnte es als Höhepunkt einer Reise betrachten, die bereits in dem Moment begann, als man die eigene Wahrheit aus den Augen verlor. Eine tiefe persönliche Krise, in der sich eine grosse Erschöpfung breitmacht. Um gesund zu werden, muss man herausfinden, welche Wahrheiten für einen selbst überhaupt noch gelten, egal, welche Wahrheiten die anderen hatten. Ich ging jeden Samstag mit meiner einjährigen Tochter in Schallplattenläden, sie spielte, bewegte sich zur Musik, lachte und tanzte, und ich durchforstete sämtliche Genres und Jahrzehnte, die je auf Schallplatte gepresst wurden. Ich lief mit einem Stapel Platten zum Anhören und fand meist völlig frustriert keine oder nur eine Platte, die mir so halbwegs gefiel. Ich legte meiner Tochter die Kopfhörer an, wenn sie grinste, kaufte ich sie. Ich fand neue Musikrichtungen mit viel mehr Ruhe und Gelassenheit. Soul, Jazz, Blues.
Ohne mir dessen bewusst zu sein, hatte ich mich völlig verbogen, war in Rollen geschlüpft, die mir nicht guttaten. Es erfordert Mut, viel Mut, die ersten Schritte auf der Suche nach der eigenen Wahrheit zu wagen. Und etwas Eigensinn. Beides entwickelt man oft erst, wenn einem das Leben Steine in den Weg wirft. Objektiviere die Hölle. Das Versachlichen von dem, was bedrückend ist: Man reduziert die Phantasmagorien auf die Sachverhalte. Ich war sehr oft sehr müde. Zudem beobachtete ich ein Sich-Einzeichnen in mein Gesicht. Ich blickte in den Spiegel und sah anders aus, fast fremd. Abgemagert, kraftlos, schlechte Haut, meine Schläfen wurden grau, sogar meine sonst so leuchtenden Augen sahen schlaff aus, ich bildete mir auch noch ein, dass mir die Haare ausfielen, was zum Glück ein Irrtum war. Ich sah aus wie ein verängstigtes kleines Tier. Nackt und verletzlich.