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Feministinnen sind überall!
Von Bloggerin Nathalie Sassine-Hauptmann

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Liebe Tochter
Schon als du ein Baby warst, habe ich mir überlegt – bei deinem Bruder natürlich auch – was ich dir alles mit auf den Weg geben würde, damit du es noch einfacher haben könntest, als ich es schon hatte. Denn ja, ich gehöre zur Generation, die sich nie die Frage stellen musste, ob sie abstimmen DARF, studieren DARF, Auto fahren DARF oder einfach nur einen Job annehmen DARF, ohne ihren Ehemann um Erlaubnis zu bitten. Ich gehöre zur Generation Frauen, deren Mütter dafür gekämpft haben, dass diese Themen eben keine mehr sind.
Die Frauen nannte man Feministinnen. Dieses Wort wirst du hoffentlich nicht mehr in negativem Zusammenhang («Männerhasserinnen», «Latzhosenträgerinnen», «Karrierefrauen», «Kampflesben» und schlimmeres...) hören, wenn du mal erwachsen bist.
Feministinnen gibt es heute noch. Heute sind es viele mehr und sie sind überall: In deiner Schule, in Mamas Freundeskreis, an der Migros-Kasse, in der Badi, auf dem Spielplatz. Eigentlich überall, wo Frauen anzutreffen sind. Diese Frauen sind weder Männern gegenüber negativ eingestellt, noch «kriegen sie keinen ab» und um die Weltherrschaft geht es Ihnen schon garnicht. Vielmehr glauben diese Frauen – und viele Männer übrigens auch – dass Feminismus für gleiche Rechte für alle Menschen steht. Also auch für Frauen. Ich gehe nicht davon aus, dass du das anders sehen wirst.
Selber sage ich gerne und laut: «Ich bin Feministin.» Und mir stehen bei Frauen, die sich scheuen, dieselbe Aussage zu machen, ehrlich gesagt die Haare z’Berg! Denn diese ruhen sich auf Loorbeeren aus, die sie sich gar nicht selber verdient haben. Sie glauben, wir hätten bereits alles erreicht und belächeln die Anstrengungen vieler Frauen, auch 2015 dieselben Rechte wie Männer zu behalten.
Zugegeben, das Problem sind nicht mehr unsere Rechte in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Die Schweizer Bundesverfassung garantiert diese seit langem. Es geht nicht mehr darum, was Frau DARF, sondern was Frau KANN. Dass wir alles tun können, was wir uns vornehmen, ist eine Tatsache (wenn auch keine geschlechterspezifische). Nur bedeutet diese Tatsache leider noch lange nicht, dass man uns auch alles tun lässt, was wir uns vornehmen.
Doch das Umdenken fängt im Kleinen an. Darin, dass sich dein Vater nicht scheut, die Wäsche zu waschen. Darin, dass dein Bruder genau dieselben Ämtli hat wie du. Wenn das Umdenken nicht zuerst innerhalb der eigenen Familie stattfindet, im Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft, hat die Politik keine Chance, die Schweiz feministisch zu gestalten. Solange Papa abends die Füsse hochlegt, während Mama weiterrotiert, bis sie erschöpft ins Bett fällt, wird es Feministinnen brauchen.
Deshalb, liebe Tochter, hoffe ich, auch du sagst eines Tages: «Ich bin Feministin.» Ausser, das Umdenken hat bis dahin stattgefunden. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Deine dich liebende, feministische Mutter (die trotzdem einen Mann abgekriegt hat)

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Nathalie Sassine-Hauptmann (1973) gehört zu den Müttern, die ihr schlechtes Gewissen wie ein Baby mit sich rumtragen. Dennoch würde sie ihren Beruf nie aufgeben. Mit ihrem Buch «Rabenmutter - die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein» spricht sie vielen berufstätigen Müttern aus der Seele. Denn als Unternehmerin weiss sie, dass ihre Kinder sie zwar glücklich machen, aber erst ihr Job ihr den Ausgleich garantiert, den sie braucht. Sie führt sowohl ihr Familienleben als auch ihre Firma mit viel Leidenschaft und macht sich in diesem Blog Gedanken zur Vereinbarkeit von beidem. Und sie hat keine Angst davor, sich eine Feministin zu schimpfen. Alle Blog-Beiträge von Nathalie Sassine-Hauptmann finden Sie hier.