Der kindliche Drang, die Welt zu entdecken, und die damit verbunden immer wiederkehrenden gleichen Fragen, was zum Beispiel mit dem Wasser passiert, kosten Nerven. Da hilft, ein bisschen in den Erinnerung zu kramen.
«Opi, wohin geht das Wasser?»
«Das fliesst durch dieses Loch hier ab.»
«Und dann?»
«Durch ein Rohr das ganze Haus runter.»
«Zeigs mir.»
Ich öffne die Tür unter dem Abwaschbecken, schiebe den Kehrrichsack weg und zeige Lio den Sifon, der vom Abwaschbecken in die Wand führt.
«Und wohin geht das Rohr?»
«Durch das ganze Haus runter bis in den Boden.»
«Da geht das Wasser hin?»
«Ja, da ist ein noch grösseres Rohr. Und in dieses fliesst das Abwasser. Das kann ich dir aber nicht zeigen, das ist unter dem Haus.»
«Und was macht das Wasser dann?»
«Aus diesem Rohr...»
So geht das weiter, bis wir bei der Kläranlage sind. Durch die grossen Rohre der Kanalisation ins Zentrum der regionalen Abwasser-Reinigungsmaschinerie. Die Rohre wenigstens kann ich der «Gwundernase» in einem Geschichtenbuch zeigen - das Buch auch einer seiner Lieblinge, das er immer und immer wieder sehen und erzählt haben will. Da ist nämlich eine offene Strassenbaustelle gezeichnet, bei der genau solche Kanalisations-Rohre in den Boden verlegt werden. So weit so gut. Aber der Kleine fragt immer wieder. Jedes Mal, wenn der Hahn läuft. «Wohin geht das Wasser.» Das kann schon nerven. Als ein mit mehr oder weniger Vernunft ausgestatteter Erwachsener müsste man doch meinen, nach dem zweiten Mal hätte er das begriffen.
Aber Kinder ticken eben anders. Wir Erwachsene begreifen die Kläranlage nach einmaliger Erklärung ja nur deshalb so in etwa, weil wir - mehr oder weniger natürlich - wissen, wie die Welt funktioniert, und das Hirn diese neue Information sofort mit den alten, vorhandenen Informationen zu vernetzen weiss, Zusammenhänge herstellt, die Begreifen schnell möglich machen. Bei Kindern fehlt das noch. Ihre Festplatte ist quasi noch leer. Darum wollen und müssen sie es immer wieder hören, damit es ihnen bleibt. Wie bei mir damals, als es darum ging Französisch zu lernen: Immer und immer wieder die gleichen Vokabeln pauken, bis sie gespeichert sind und automatisch abrufbar, damit ich nicht nur die Französischprüfung bestehe, sondern mein Bier auch in Paris bestellen kann.
Diese meine Französischerfahrungen im Hinterkopf nervt es mich darum grad nicht mehr, Lio zum 123. Mal zu erklären, wie aus unserem kostbaren Hahnenwasser Klärschlamm wird.
Blogger Martin Moser
Martin Moser (1959), Produktionschef Tageszeitungen der AZ Medien, ist seit 30 Jahren verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er hat zwei Enkel (Lionel, 2011, und Enyo, 2014) und legt auch mal einen Opi-Tag ein. Bloggt für «wir eltern» über Opi-Kinder-Enkel-Erlebnisse und -Beziehungen und kramt auch mal in seinen eigenen Erinnerungen.
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